Al Pride wird gesellschaftskritisch

Text und Bild: Larissa Gassmann, Badener Tagblatt, 11. September 2020

Mitglieder der Band Al Pride: Nico Schulthess (rechts) und Benedikt Bendo Fischer im Badener Royal.
Nico Schulthess (rechts) und Benedikt Bendo Fischer im Badener Royal.

Das soeben erschienene Album «Sweet Roller» der Badener Band Al Pride führt den Hörer musikalisch durch das Krisenjahr 2020. Nicht nur in den Songs, sondern auch auf Instagram äussert sich die Band rund um den Leadsänger Nico Schulthess erstmals gesellschaftskritisch. Warum ihm dieses Engagement am Herzen liegt, erklärt der Musiker im Interview.

Im Musikvideo zur Single «If you go down» rasieren Sie sich die Haare. Auch ansonsten wirkt alles ziemlich chaotisch. Sieht es in Ihrem Kopf derzeit auch so aus?

Nico Schulthess: Eigentlich nicht. Weil unsere Tour gerade startet, bin ich so fokussiert wie schon lange nicht mehr. Auch zu Beginn der Pandemie war die Situation nie wirklich chaotisch, selbst wenn der Lockdown natürlich ein ziemlicher Einschnitt in unsere Pläne war. Aktuell fühlt es sich einfach gut an, dass unser Album «Sweet Roller» nun draussen ist. Wir haben zu einer gesunden Tiefenentspannung gefunden.

Im Jahr 2020 jagt eine Schlagzeile die nächste. Ist dieses Wirrwarr für einen Künstler nicht total inspirierend?

Seit Beginn der Krise mussten wir ziemlich viele Administrationsarbeiten übernehmen. Das verkleinert den Raum für Inspiration und Kreativität. Wenn man im künstlerischen Bereich arbeitet, dann sieht man aber schon, was das Jahr gesellschaftlich in sich trägt und hervorbringt. Verborgene Umstände und Probleme werden auf einmal freigestellt. Makel am globalisierten System, die recht vielfältig und in grossen Mengen vorhanden sind. Sich damit auseinanderzusetzen ist ziemlich spannend. Es hat aber auch einen bitteren Beigeschmack.

Inwiefern?

In unserem Umfeld gibt es viele Kunstschaffende, die durch die Coronakrise an die Existenzgrenze gelangen. Uns als Band betrifft es nicht direkt, weil wir nicht nur von einem Projekt abhängig sind. Gleichzeitig sind wir alle aber beruflich im Kulturbereich tätig. Wenn man über den Tellerrand schaut, befinden wir uns allerdings in einer privilegierten Rolle. Ob durch diese intensive Zeit ein künstlerischer Mehrwert entsteht, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist klar, dass es Probleme gibt, die behandelt werden müssen.

Welche Probleme beschäftigen Sie derzeit?

Gerade in den USA tritt die Diskriminierung plakativ an den Tag. Jetzt wo eigentlich jedem geholfen werden muss, greift die Unterstützung nur bei den privilegierten Menschen. Auch der Kulturbereich wird durch die Krise so stark tangiert, wie kaum eine andere Branche. Gleichzeitig wird er nicht in den Dialog einbezogen. Es passiert vieles nur langsam, die Massnahmen sind oft reaktionär und selten konsensorientiert. Die Situation geht an die Substanz, es gibt harte individuelle Schicksale. Gleichzeitig bin ich der Meinung bin, dass wir keine «richtige» Krise durchleben. Es gibt Bevölkerungsgruppen oder Länder, die mehr leiden und weitaus Schlimmeres erfahren. Was wir hier haben, ist die privilegierte Deluxe-Version.

In den sozialen Medien wird Al Pride immer gesellschaftskritischer.

Weil wir als Band vor allem über die Authentizität funktionieren, ist dieses Engagement für uns existenziell. Dass grosse Künstler wie Ed Sheeran sich bewusst nicht zu brisanten Themen äussern, lässt mich nicht kalt. Künstlerisches Schaffen, welches sich bewusst von gesellschaftlichen Themen distanziert, ist eigentlich immer gleichbedeutend mit Ablenkung. Und zu starke Ablenkung kann in Zeiten, in denen wir als Gesellschaft vor grossen Herausforderungen stehen, durchaus gefährlich werden. Es kommt für uns als Band nicht in Frage, nur wegen dem Karriereerfolg stromlinienförmig zu bleiben, niemandem wehtun zu wollen und keine Haltung zu zeigen. Unserer Reichweite ist nicht riesig. Aber wir wissen genau, wofür wir auf der Bühne stehen.

Gab es deswegen auch Kritik?

Gerade bei der Geschichte rund um die Süssgebäcke von Dubler schon. Nach unseren Äusserungen zu diesem Thema wurden wir jedoch kaum direkt mit der Kritik konfrontiert. Diese fand indirekt den Weg zu uns. Das finde ich echt schade, da ich den offenen Diskurs abseits der Kommentarspalten für sehr wichtig halte. Gleichzeit ist uns aber auch klar, dass sich unser Publikum in einer ähnlich gesinnten Blase bewegt. Wenn sich eine Person wie Beatrice Egli derart geäussert hätte, hätte das weitaus mehr Reibung erzeugt.

Mitten im Lockdown habt ihr ein eigenes Bier auf den Markt gebracht. Floss der Alkohol in der Krise auch bei Ihnen in Strömen?

Unser Bierkonsum ist sonst schon relativ hoch, darum war es ziemlich unspektakulär. Nein im Ernst, eigentlich war jetzt eher das Gegenteil der Fall, zumal wir uns während des Lockdown nur selten gesehen haben. Zu Acht haben wir uns in den ersten Monaten gar nicht getroffen, da waren wir sehr konsequent. Wir sind in der Zwischenzeit also keine 80er-Jahre-Rock’n’Roll-Band geworden.

Das auf eurer Internetseite vertriebene Bier habt ihr euren Fans unter Einhaltung der Social-Distancing-Regeln direkt vor die Türe geliefert. Kam es dabei auch zu einer schrägen Situation?

Ja, bei Astrid (Sängerin der Band, Anm. d. Red). Sie hat das Bier bei einer jungen Frau abgeliefert, die schon länger ziemlich aktiv mit uns auf Instagram interagiert. Ihr Freund hat damals im Bademantel die Tür geöffnet. Als seine Freundin ebenfalls im Bademantel ankam, ist sie beim Anblick von Astrid fast durchgedreht. Solche Begegnungen gab es einige. Im Grunde waren alle Erlebnisse beim Ausliefern des Bieres echt herzerwärmend.

Wie war es für Sie selbst, die anderen Bandmitglieder endlich wieder bei den Proben zu sehen?

Am Anfang waren nicht alle Mitglieder vor Ort, viele Menschen in unserem Umfeld waren sehr vorsichtig. Für die ersten Proben haben wir uns im kleinen Rahmen drei Tage lang in einem leerstehenden Konzertsaal eingerichtet und ohne realistische Aussicht auf baldige Konzerte geprobt. Trotzdem hat es gut getan, auf einer Bühne zu stehen und die Bässe mal wieder physisch zu spüren. Jetzt wo es wieder losgeht, sind wir so bereit, wie wir es noch nie waren.

Schon eure EP «Spruce» habt ihr trotz Corona herausgebracht. Würden Sie das im Nachhinein wieder so handhaben?

Ich würde es sofort wieder machen. Wir haben etwas zu sagen. Dadurch entsteht immer ein Aktualitätsbezug. Wenn man für den Karriereplan alles verschiebt, damit eine Tournee wie gewohnt stattfinden kann, dann nimmt man in Kauf, dass die inhaltlich hergestellte Aktualität bis dann völlig verloren geht. Gerade das Video von «If you go down» musste einfach in diesem Moment erscheinen.

Was erwartet den Leser auf dem soeben erschienen Album «Sweet Roller»?

Das bisher stärkste Werk von Al Pride.

Inwiefern hebt es sich denn von den anderen Werken ab?

Schon «Hallavara» hat dem Hörer einen guten Vorgeschmack auf unsere Liveauftritte gegeben. Bei Sweet Roller ist das noch stärker spürbar. Weil wir jetzt so viel Zeit geschenkt bekommen haben, um uns vorzubereiten, werden wir live noch ein Stück darauflegen. Es ist ein ausgereiftes und inhaltlich gehaltvolles Album.

Auf was sind Sie am meisten stolz?

Dass wir uns als Band weiterentwickelt haben. Der kompositorische Prozess ist gleichzeitig kollektiver, wie auch kompromissloser geworden. Zudem haben die Inhalte und die Lyrik meiner Meinung nach stark an Gehalt gewonnen. Trotzdem sind wir nicht erwachsener, nicht verkopfter geworden. So macht das Ganze ziemlich viel Spass.

Weil die Band so viel Zeit zur Vorbereitung geschenkt bekommen hat, will sie live Gas geben.

Als Band definiert ihr euch vor allem über eure Konzerte. Können Sie sich noch daran erinnern, was Ihnen beim ersten Auftritt zuerst durch den Kopf schoss?

Nein. Wirklich nicht, wir waren einfach in einem Modus. Das haben wir nicht verlernt. Die bleibenden Eindrücke zeigen sich erst im Nachhinein. Die Stimmung war schon intensiver als sonst. Wir haben für unseren Geschmack auch bewusst viel zu lange gespielt. Etwa eine Stunde und vierzig Minuten lang. Aber es hat funktioniert – zum Glück! Es war spürbar, dass das gesamte Publikum gerade sein einziges Festival in diesem Jahr erlebt und den Moment enorm zu schätzen weiss. Es herrschte eine unglaublich gute und solidarische Stimmung.

Derzeit gibt es für euch keine Planungssicherheit.

Bevor das Publikum in den Saal hereinströmt, besteht immer die Chance, dass ein Konzert nicht stattfindet. Und doch haben wir mittlerweile eine gewisse Tiefenentspannung erlangt. Eine Flexibilität, die wir nicht erzwingen mussten, sondern automatisch entwickelt haben. Unser Ansatz ist es dabei, die Situation einfach anzunehmen wie sie ist und damit umzugehen.

Hat euch diese spezielle Zeit als Gruppe zusammengeschweisst?

Das wird sich noch im Detail zeigen, jetzt wo wieder rausgehen und spielen. Eine achtköpfige Band ist von der Grösse her an sich schon ein schwieriges Organisationsgefäss. Gerade jetzt in solchen Zeiten, in denen alle Pläne über den Haufen geworfen werden. Wann immer wir uns getroffen haben, waren wir auf Achse. Wir hatten Fotoshootings, den Videodreh und Proben. Die «Quality Time», die man vor allem auf Tourneen hat, hat gefehlt. Trotzdem habe ich ein gutes Gefühl. Meiner Einschätzung nach werden wir durch diese Situation nochmals näher zusammenrücken. Dass langsam wieder Events stattfinden, wird uns für vieles entschädigen.

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