«Auf einmal jagt dich nichts mehr»

Text: Larissa Gassmann, Bild: zVg, Aargauer Zeitung, 16. Januar 2020

Im Alter von nur 25 Jahren verabschiedet sich der Judoka Tobias Meier von der internationalen Bühne. Nun spricht das Mitglied des JJJC Bruggs über die Gründe und blickt zurück auf eine kurze, aber äusserst intensive Karriere.

Oftmals kann der Sport grausam sein. Das ewige Fressen-und-gefressen-Werden manifestiert sich in einem Kampf, in dem nur die Starken an die einsame Spitze gelangen. Dort folgen wiederum finanzielle Einbussen, fehlende Freizeit, ein Leben ohne Sicherheit. All das will der Judoka Tobias Meier nicht mehr länger auf sich nehmen.

Im Alter von nur 25 Jahren gibt er Mitte November seinen Rückzug aus dem internationalen Spitzensport bekannt. «Wenn du wirklich ganz nach oben willst, muss alles stimmen. Du musst voll und ganz aufs Judo setzen, dann reicht es vielleicht. Aber ich war nicht mehr dazu bereit, diese Extrameile zu gehen», sagt der aus Wettingen stammende Meier.

Verpasste Möglichkeiten und Wehmut

Den drastischen Schritt bereut er keineswegs. Beim Gedanken an die verpassten Möglichkeiten taucht trotzdem Wehmut auf. Während Meier eine Europameisterschaft und die Militär-WM in seinen Lebenslauf einfügen durfte, blieb ihm eine Teilnahme an einer Weltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen verwehrt.

Dass er diesen Träumen mit mehr Geduld und Aufwand wohl näher gekommen wäre, ist ihm bewusst. Der Blick zurück hinterlässt gemischte Gefühle. «Ich habe oft gedacht: Wenn du dich in den Arsch klemmst und zusammenreisst, dann wird es vielleicht schon gehen», sagt er.

Doch auf einmal ging es eben doch nicht mehr. Eine verheissungsvolle Karriere wurde begraben, bevor sie überhaupt richtig anfangen konnte. Trotzdem will Meier nicht gelten lassen, dass seine zehn Jahre im Leistungssport verschwendete Zeit waren und sich die Sport-Lehre und die Sport-RS nicht gelohnt hätten.

Zwischen Warschau, Tel Aviv und Tokio

«Der Leistungssport hat mich unglaublich vieles gelehrt, mich zu dem Charakter geformt, der ich heute bin. Im Judo wird man auf den Boden geworfen, man fällt – und steht doch immer wieder auf. Das ist eine unbezahlbare Lebensschule», sagt Meier. Wenn er auf die Vergangenheit zurückblickt, so spricht er von einem Privileg: «Ich durfte verschiedene Menschen und Kulturen kennen lernen und in jungen Jahren viele Länder bereisen. Das würde ich immer wieder machen.»

Warschau, Tel Aviv, Tokio. Meier hat viel gesehen und erlebt. Im Nachhinein glaubt er, dass er nicht immer reif genug war, um alles verstehen und verarbeiten zu können. Auch wenn er letztlich doch vieles gleich machen würde: Seinem jüngeren Ich würdet er anraten, früher einen Mentaltrainer hinzuzuziehen. «Ich habe mir oft zu viele Gedanken gemacht, relativ spät begriffen, dass man an Wettkämpfen eigentlich immer nervös ist», sagt er. «Letztlich geht es nur darum, mit diesem Stress und diesen Emotionen umgehen zu können.»

Als prägendsten Moment bezeichnete er passenderweise seine 2016 im Europacup gewonnene Medaille, die für ihn, der allzu oft in seiner Karriere von Verletzungen geplagt wurde, einem Befreiungsschlag gleichkam. «Ich habe mir immer so viel Druck gemacht. Erst danach habe ich verstanden, was es braucht, wie ich meinen Körper und meine Gedanken lenken muss», sagt er.

Dem Nachwuchs etwas weitergeben

Nicht am Druck zu zerbrechen, frei antreten zu können und doch nie die Bodenhaftung zu verlieren. All das will er nun dem Nachwuchs lehren. Meier, welcher der Sportart nicht ganz den Rücken kehren will, wird weiterhin für den JJJC Brugg tätig sein. Er wird als Captain der NLA-Mannschaft fungieren und mit dieser hoffentlich weitere Erfolge feiern.

Trotzdem steht für ihn mittlerweile der Spass an der Sache im Vordergrund. «Ich war schon immer ein technischer Kämpfer, lege viel Wert auf Kombinationen, das Spielerische. Das geniesse ich jetzt extrem», sagt er.

Eine im sportlichen Bereich auf einmal leerere Agenda und eine Zeit, die sich nur sehr zäh voran bewegt. Dass zu viel Freizeit doch nicht immer ein Segen ist, bekommt er seit seinem Rücktritt am eigenen Leib zu spüren. «Auf einmal jagt dich nichts mehr», sagt Meier. «Das vermisse ich schon. Aber im Nachhinein bin ich mir sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.»

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