Bergrennen im Extremzustand

Text: Larissa Gassmann, Bilder: André Albrecht, Aargauer Zeitung, 1. Juli 2019

Am 54. Bergrennen in Reitnau herrschen Höchsttemperaturen. Die Hitze stellt nicht nur das Publikum und die Helfer, sondern auch die Fahrer vor eine grosse Herausforderung.

Es ist heiss in Reitnau. 34 Grad, die Sonne brennt sich in jeden Zentimeter unverhüllter Haut ein. Die Hitze drückt einen fast zu Boden, das Atmen fällt zeitweise schwer. Als im malerischen Dörfchen plötzlich Motorgeheule die Luft zerschneidet, wähnt der Besucher sich in einer Fata Morgana.

Doch dann vermischt sich Benzingeruch mit der schweren Luft und ein Lola FA 99 schiesst plötzlich mit vollem Tempo zwischen den Schatten spendenden Buchen hervor. Jetzt wird den knapp 9500 Zuschauern auf ihren Plätzen bewusst, dass das alles hier sehr real ist. Schlagartig ist das Publikum wach.

Der Routinier Daniel Mauerhofer begeistert im knallgelben Dallara WorldSeries.
Der Routinier Daniel Mauerhofer begeistert im knallgelben Dallara WorldSeries.
© André Albrecht

Das muss es auch, denn am 54. Bergrennen Reitnau gibt es viel zu sehen, über 200 Fahrer gehen an den Start, darunter auch zahlreiche aus dem Kanton Aargau. Einer davon ist Daniel Mauerhofer.

Speziell ist das Rennen für ihn nicht nur der Hitze wegen: Mauerhofer fährt mit seinem neuen Gefährt zum ersten Mal in der Formel 3000 mit, der Königsklasse am Bergrennen in Reitnau. Fünf Fahrer zeigen dort ihr Können, nur einer davon stammt nicht aus dem Aargau – da soll noch einmal einer sagen, Aargauer seien keine guten Autofahrer.

Bis zu 70 Grad heiss

Schon kurz vor zehn Uhr sind die Fahrer im Training gefordert, bereits jetzt liegt die Hitze schwer über dem Gelände. Als sei es eine musikalische Vorwarnung, plärrt während der ersten Testfahrt «36grad», der 2000er-Hit der Band 2raumwohnung aus den Lautsprecheranlagen. Von der Hitze kann auch Mauerhofer in seinem knallgelben «Dallara WorldSeries» ein Lied singen. In den Wagen, die heute an den Start gehen, herrschen teilweise bis zu 70 Grad, zusätzlich tragen die Fahrer feuerfeste Kleidung.

Man kann von Glück reden, bringen sie die 1,6 Kilometer lange Strecke in durchschnittlich einer Minute hinter sich. Den 60-Jährigen aus Schinznach-Bad bringen die hohen Temperaturen indessen nicht aus der Ruhe – und das obwohl er seit 1979 am Bergrennen Reitnau teilnimmt und sich nicht an einen derart heissen Renntag erinnern kann. «Mir macht die Hitze nichts aus.

Ich halte es ohne Probleme auch eine Stunde in meinem Overall aus», sagt der Automobil-Fachmann. Mehr Sorgen macht er sich um seinen Wagen. «Ich achte darauf, dass er nicht in der Sonne steht, der Motor darf nicht zu heiss werden und muss sich jetzt erst einmal abkühlen.»

Gefährte aller Art auf dem Asphalt
Gefährte aller Art auf dem Asphalt.
© André Albrecht

Auch für den 74-jährigen Georg Baumer aus Suhr, der bereits zum vierten Mal als Streckenposten arbeitet, ist die Hitze nebensächlich, ist er doch ganz auf seinen Auftrag fokussiert. Beruflich gesehen ist das schöne Wetter sogar ein Segen: «Bei dieser Hitze entstehen grundsätzlich eher weniger Unfälle. Schwieriger ist es, wenn die Strassen nass sind», sagt er. Der allgemeine Tenor der Zuschauer fällt ähnlich aus, die brennende Sonne scheint sie kaum zu stören. So sei eben der Sommer, meinen viele.

An den Essenständen decken sie sich mit Bratwürsten oder Pommes frites ein, mit einem kühlen Bier oder einer Glace werden die für die Hitze eher untypischen Mahlzeiten hinuntergespült. «Ich bin bereits zum 48. Mal hier. So heiss wie heute war es noch nie, da tut ein Bier gerade gut», sagt denn auch ein Zuschauer.

Die spannenden Rennen lenken zusätzlich ab, die Showeinlagen, die für viele das Highlight des Rennens bilden, sowieso. Dazu gehören unter anderem eine fahrende Badewanne und der Italiener Loris Rosati, der mit seinem Spezial-Dreirad Manöver vollführt, die einem nebst der Hitze einmal mehr den Atem stocken lassen. Auch die Abfahrt der Teilnehmer nach den Rennen wird mit begeisterten Jubelschreien quittiert.

Das Programm in Reitnau ist attraktiv, nicht wenige verzichten dafür liebend gerne auf einen Besuch in der Badi. «Ich habe kein Problem mit der Hitze», sagt die 46-jährige Denise aus Aarburg. «Die Motorgeräusche, der Geruch während des Rennens und die tollen Autos möchte ich mir nicht entgehen lassen.» Wegen der Hitze das Rennen zu verpassen, kommt auch für eine 20-Jährige nicht infrage, die extra aus Deutschland angereist ist: «Wir kommen schon seit 15 Jahren hierher. So heiss wie heute war es zwar noch nie, aber viel Eis essen hilft.»

Intensive Vorbereitung

Nicht ganz so locker geht Pascal Siegrist mit der Hitze um. Der aus Strengelbach stammende Automobil-Mechatroniker, der im Geschäft seines Vaters arbeitet, startet zum ersten Mal in der Super-Serie «Schweizer Bergmeisterschaft Junior 2019». Der 26-Jährige, der mit knapp 20 Minuten Fahrzeit einen relativ kurzen Anreiseweg hatte, war schon als Kind immer mit von der Partie. «Es macht mich stolz, dass ich nun als Fahrer dabei sein darf. Es ist sehr speziell, das Ganze aus dieser Perspektive zu erleben», sagt er über den Rollenwechsel.

It’s showtime: Mit viel Rauch begeistern die Fahrer am Bergrennen.
It’s showtime: Mit viel Rauch begeistern die Fahrer am Bergrennen.
© André Albrecht

Seinen hitzigen Start nimmt er vielleicht gerade deswegen nicht auf die leichte Schulter: «Ich habe mich in den letzten paar Tagen intensiv vorbereitet, habe oft draussen Sport gemacht, um mich an die Hitze zu gewöhnen. Zusätzlich habe ich schon im Vorhinein viel Wasser getrunken, um meinen Körper daran zu gewöhnen.

Fängt man erst am Wettkampftag damit an, so rennt man andauernd auf die Toilette.» Vor den Fahrten nimmt er dann auch die Klimaanlage seines Toyota GT86 in Anspruch. «Am Start müssen wir einen kühlen Kopf haben, das ist für die Konzentration das Wichtigste», so Siegrist. Genauso sieht das auch ein Mitsubishi-Fahrer, der allerdings zu einem ganz anderen Trick greift – um in der Startschlange nicht der Hitze ausgesetzt zu sein, lässt er sich einen Regenschirm über die Fahrerkabine halten.

Ähnlich gut ausgerüstet zeigen sich die Samariter. Doch anders als erwartet haben diese nicht nur mit schwierigeren Fällen wie zum Beispiel Kreislaufproblemen zu tun: «Viele benötigen einfach nur Sonnencreme», so eine 51-jährige Samariterin. So geht der Tag ohne grössere Zwischenfälle über die Bühne, auch auf der Rennstrecke.

Die einen geniessen die Sonnenstrahlen, die anderen versuchen sich so gut wie möglich davor zu schützen.
Die einen geniessen die Sonnenstrahlen, die anderen versuchen sich so gut wie möglich davor zu schützen.
© André Albrecht

Zwar übertreibt es in der Hitze des Gefechts der eine oder andere Fahrer auf der kurvenreichen Strecke und muss danach zusehen, wie sein Wagen abtransportiert wird, doch abgesehen von einem Rennfahrer, der zur Kontrolle ins Krankenhaus gebracht werden muss, bleibt das Rennen von schlimmen Zwischenfällen verschont. Somit darf man getrost wieder einmal von einem gut gelungenen Fest sprechen.

«Mein Fazit fällt extrem positiv aus, gerade auch deswegen, weil es unter extremen Bedingungen stattgefunden hat», sagt Thomas Kohler, der das Bergrennen organisiert hat und als Vize-Rennleiter fungiert. Ein gutes Fazit dürfte auch Eric Berguerand aus Charrat ziehen, der mit 47,22 Sekunden den neuen Streckenrekord aufstellen konnte und sich über den Sieg freuen darf. Nicht ganz wie erhofft läuft es für Pascal Siegrist.

Er muss sich wegen drei fehlender Hundertstelsekunden hinter Rico Thomann aus Winterthur einreihen. Wenige Minuten nach der Verkündung der Ergebnisse ist die Enttäuschung bei ihm gross – doch kann er nach der gut überstandenen Hitze endlich wieder befreit durchatmen.

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