Ein Weihnachtsmärchen: Fede Valverde und die Hoffnung

Lange bevor er die Fans der LaLiga verzauberte, stand Fede Valverde in seinem Heimatland für ein neues Zeitalter. Wie sieben Sterne und ein besonderer Heiligabend eine Weltkarriere formten und was diese für die in Himmelblau gekleidete Nationalmannschaft bedeutet.

Manchmal entstehen aus Zufällen Weltkarrieren. Scheinbare Nichtigkeiten zeichnen Lebenswege, die sich von einem Märchen kaum mehr unterscheiden. Ein unvergleichliches Beispiel dafür ist die Geschichte von Federico Valverde. Dem Spieler, der gerade bei Real Madrid einen kometenhaften Aufstieg feiert und scheinbar aus dem Nichts an die Weltspitze vorgestossen ist.

Doch anders als vielleicht erwartet, wurde Valverde nicht allzu früh vom Glück geküsst. Als Sohn eines Casinomitarbeiters war Fortuna ihm zwar vertraut, aber nie gnädig. Seine Mutter suchte im Einzelhandel danach, nur schwer hielt sich die Familie über Wasser. «Baby fútbol», ein südamerikanisches Phänomen, sollte nicht nur für ihn sondern auch für seine Familie alles verändern.

Schon früh stand Fede auf den Rasenplätzen der Nation, spielte lange für die Exploradores (Artigas). Bis im Alter von neun Jahren alles auf den Kopf gestellt wurde. Schuld daran sind sieben Sterne und ein waschechtes Weihnachtsmärchen. Den Verantwortlichen des Kindervereins «Siete Estrellas» kam im Dezember 2009 zu Ohren, welch grosses Talent Valverde habe. Und der Verein, der so vieles gewonnen hatte, wollte auf einmal nur noch eins: Fede Valverde. Um jeden Preis.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

So kam es, dass kurz vor Weihnachten nicht Caspar, Melchior und Balthasar loszogen, sondern mehrere Mitarbeiter der «Siete Estrellas». Mit einem Vertrag in der Tasche wanderten sie durch die Region, um nach Fede Valverdes Mutter zu suchen, welche zu dieser Zeit auf der Strasse Spielzeuge für Heiligabend verkaufte. Die Verantwortlichen der «Siete Estrellas» hatten kaum Anhaltspunkte, aber viel Ehrgeizig.

Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sie Fedes Mutter fanden. Noch etwas länger als die Suche nach ihr dauerte allerdings die Vertragsunterzeichnung. Erst am 24. Dezember willigte sie ein, von da an spielte Fede endlich für die sieben Sterne. Er war scheu und dünn – was ihm in seiner Karriere mehrmals im Weg stehen sollte – aber er konnte mit dem Ball zaubern und war intelligent wie kein anderer auf dem Platz.

Seine Mutter sorgte dafür, dass er kein Training verpasste, Fede wuchs auf allen Ebenen und so kam es, wie es kommen musste. Peñarol Montevideo, das sich all die Jahre zuvor von den anderen Vereinen des Landes hatte abhängen lassen, war auf der Suche nach neuen und frischen Talenten – und Federico Valverde einmal mehr zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ein Fotograf und ein Schiedsrichterführer, die für Peñarol nach Talenten Ausschau hielten, entdeckten den kleinen Mittelfeldspieler. Dass er einst für die erste Mannschaft des Traditionsvereins spielen sollte, war von da an beschlossene Sache.

Im Visier von Chelsea, Arsenal und Real Madrid

So trainierte Fede Valverde in der Escuelita de Peñarol, bis er alt genug war, um einen richtigen Vertrag bei Peñarol unterschreiben zu können. Bis endlich alles losgehen konnte. Doch bevor Fede auch nur ein einziges Mal für die erste Mannschaft aufgelaufen war, klopften die ganz grossen Vereine an. Chelsea, Arsenal, Real Madrid. Sie alle zeigten sich beeindruckt ob der Leistung, die Fede in der Juniorennationalmannschaft gezeigt hatte. Am Ende überstrahlten die Königlichen alles, fünf Millionen war ihnen Fede Valverde zu diesem Zeitpunkt wert.

Gleichzeitig wurde Valverde mit seinen Teamkollegen aus der U17-Nationalmannschaft,  Santiago Bueno und Diego Rossi, in das Training der ersten Mannschaft bei Peñarol eingeladen. Noch war mit Real Madrid nicht alles in trockenen Tüchern. Als er zum Medizincheck nach Madrid flog, waren die verantwortlichen Ärzte alles andere als begeistert von ihm. Er sei nahezu unterernährt, kaum fähig, über lange Zeit gute Resultate abzuliefern, hiess es.

Klein und unscheinbar – aber voller Hoffnung

Als Valverde ohne die erhofften Papiere zurück nach Uruguay flog und einen Dreijahresvertrag bei Peñarol unterschrieb, schienen alle Träume geplatzt zu sein. Doch so leicht gaben weder Real Madrid noch Fede auf. Vier Tage später wurde bekanntgegeben, dass Fede einen Vorvertrag abgeschlossen hatte. Bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr sollte er in Uruguay bleiben, danach nach Spanien zurückkehren. Nach gerade einmal zwölf Spielen für die erste Mannschaft von Peñarol wurde Fede Valverde 2016 endlich zu einem Spieler der Königlichen.

Fede Falverde. Spätestens ab diesem Zeitpunkt standen diese beiden Worte für Hoffnung. Für ein neues Zeitalter. Es war ein Name, der immer wieder irgendwo auftauchte. Nie auf den ganz grossen Seiten, nie in den Schlagzeilen. Vielmehr immer in den verborgensten Ecken. Klein. Aber nie unscheinbar. Fede war da – und auf einmal weg. Zu Deportivo La Coruña  abgeschoben. War der Traum von dieser verheissungsvollen Zukunft beendet?

Wenn so viel Hoffnung da ist, taucht irgendwann einmal auch Angst auf. Doch dass diese völlig unbegründet war, wagte damals keiner zu denken. Heute ist Fede im Rampenlicht, er steht für diese laufende Saison. Königlich, strahlend und scheinend. 50 Millionen Marktwert füllen ab jetzt die Schlagzeilen. Der kleine Vogel, wie er genannt wird, hat das Fliegen gelernt.

Er ist Gold wert, nicht nur für Real Madrid. Sondern für ein Mittelfeld, das der Nationalmannschaft aller Nationalmannschaften gehört. Für ein ganzes Land und ein Zeitalter, das eigentlich längst der Vergangenheit angehören sollte.

Ein Relikt einer längst vergangener Zeit

Fede Valverde ist nebst seinem Vordermann Brian Rodriguez einer der wenigen verbliebenen Exportschlager von Peñarol Montevideo, dem Verein, der nebst Nacional einst alles überstrahlte. Den man nur lieben oder hassen konnte, je nachdem ob man denn eben Nacional liebte oder hasste. In Uruguay bist du meistens für Nacional oder Peñarol, ausser du heisst Endinson Cavani oder Diego Forlan, dann zählen diese Gesetze nicht für dich. So war es zumindest lange Zeit. Doch mittlerweile gilt nicht mehr, was jemals war.

Wenn die ganz grossen Hoffnungen auf dem Mittelfeld der Nationalmannschaft ruhen, dann haben sie ihren Ursprung in der Arbeit von Delfino Pescara (Lucas Torreira), den Boca Juniors (Rodrigo Bentancur). Vereinen aus dem Ausland. Oder kleinen Fischen wie Defensor Sporting (Brian Lozano) und Central Español (Matías Vecino). Doch während sich so vieles geändert hat, steht Fede Valverde für eine vollkommen andere Welt. Für das Altbewährte, das lange Zeit so viel Sinn ergeben hat. Seine reine Existenz ist eine Reise in die Vergangenheit.

Bis er den königlichen Rasen betritt. Dann vermischen sich auf einmal Zeit und Raum, bis kaum etwas mehr Wichtigkeit besitzt. Dann sieht man nur ihn. Die Nummer 15, die für Hoffnung steht. Das «E» in Fede, das für Hoffnung steht. Seine Spielweise, die für Hoffnung steht. All das, was noch kommen mag. Der berühmte uruguayische Kampfgeist Garra Charrúa hat viele Generationen geprägt. Diese ganze Dekade haben wir mit dieser Art von Fussball verbracht. Mit dem vielleicht brillantesten Sturmduo überhaupt. All das wird für immer unvergessen bleiben. Aber wer erinnert sich heute noch an den ganzen Rest? An ein Mittelfeld, bestückt mit Spielern wie Diego Pérez oder Egidio Arévalo Ríos.

Von der Wasserverdrängung und geebneten Wegen

Es ist bei Gott nicht ihre Schuld und nicht recht, dass sich niemand mehr an sie erinnert. Aber es hatte bei Gott auch ziemlich oft wenig mit Fussball zu tun, was damals gezeigt wurde. Sie alle waren Spieler die man vor allem mit dem Wort «Wasserverdrängung» in Verbindung bringt. Bullig, ungelenk. Mit mehr begangenen Fouls als angekommenen Pässen. Aber durch sie und mit all den Meilensteinen der vergangenen Jahre wurden Wege geebnet.

Ganz besonders dieser eine Weg, direkt ins Licht. Egal, was kommen mag, Uruguay hat jetzt schon gewonnen. Im November hat gegen Ungarn eine Mannschaft gespielt, die den Auftritten vom Anfang dieser Dekade ferner nicht hätte sein können. In nur neun Jahren hat sich so wahnsinnig vieles geändert. Wenn in den Kommentarspalten über junge Spieler aus Uruguay geredet wird, wird nicht mehr gefragt «Ist dieser Spieler gut». Stattdessen heisst es «Kann er wie Fede spielen?».

Federico Santiago Valverde Dipetta nährt die Zukunftsvisionen von knapp 3.5 Millionen Menschen. Dieser Spieler mit einer kaum für möglich gehaltenen Eleganz und Feinheit hat das Ballet der Arbeiterklasse auf ein neues Level gebracht. Wenn wir schon Hoffnungen haben wollen, dann bitte jetzt. Wer könnte denn schon ein besseres Märchen schreiben als dieser Spieler, für den an einem Heiligabend einst alles begann?

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