In case of emergency break glass(ner)

Auch wenn in Oliver Glasners Leben kaum etwas nach Plan verläuft, ist das in seinem Fall positiv. Ein Lebensweg, der zu keiner Zeit vorbestimmt war – und doch immer wieder in Richtung Erfolg führte.

Lebensgefahr, Diagnose Subduralhämatom. Eine gefährliche Blutung zwischen Gehirn und harter Hirnhaut. Ein Zweikampf zu viel, ein alles verändernder Kopfball. Vor acht Jahren, unmittelbar vor dem Start des Europapokal-Spiels gegen den Brøndby IF hing das Leben von Oliver Glasner, zu dieser Zeit Spieler der SV Ried, an einem seidenen Faden. Schon damals hätte alles vorbei sein können. Zu diesem Zeitpunkt war der Fussball auf einmal unwichtig. Da war nur das Leben. Und mit ihm diese unglaubliche Schwere. Was zählen schon Punkte, Passquoten, schöne Dribblings? Wenn man so kurz davor steht, eine Schwelle zu viel zu übertreten.

Während seine Frau damals aus tausend Kilometern Entfernung die Freigabe zur Not-Operation geben musste, war Glasner schon nicht mehr zurechnungsunfähig. Er überlebte letztlich. Trotz allem. Doch seine Fussballkarriere starb an diesem verhängnisvollen Abend in Kopenhagen. Die  Gehirnerschütterung, die er sich zuvor im Spiel gegen Rapid zugezogen hatte, sollte das Ende seiner Glanzzeit einleiten. Lange Zeit drehte sich auf einmal nicht mehr viel um das schöne Spiel. Kurz vor dem Erreichen des 37. Lebensjahrs gab er auf Anraten der Ärzte seinen Rückzug aus dem Profifussball bekannt. Erneut hätte alles vorbei sein können.

Doch Glasner wäre nicht Glasner, hätte er nicht gewisse Vorkehrungen getroffen. Noch während er über die Felder der Nation rannte, schloss er ein betriebswirtschaftliches Studium an der Fernuniversität Hagen ab. Er wollte bleiben. Von Anfang an. Ähnlich sahen das auch die Verantwortlichen in Ried. Eine Saison ohne den Fanliebling Glasner? Unvorstellbar. Dass er nach dem Ende seiner aktiven Karriere die zweite Mannschaft in Ried übernehmen sollte, war fast schon beschlossene Sache.

Prägung, Dankbarkeit – und Rangnick

Dennoch kam es einmal mehr anders. In das Leben von Glasner, der zuvor nur noch für den Linzer ASK aufgelaufen war, trat ein neuer Verein. Ein Konstrukt, das damals schon vielen ein Dorn im Auge war – und dennoch bald die Welt erobern sollte. Peter Vogl, Ehrenpräsident in Ried und zugleich Geschäftsführer von Red Bull Salzburg, hatte andere Pläne für Glasner als man sie in Ried hatte. Im Jahr 2012 wurde Glasner sportlichen Koordinator des aufstrebenden Vereins.

Er machte seine Arbeit gut. Doch erneut trat jemand in sein Leben – mit dem Ziel, dieses gehörig umzukrempeln. Die Rede ist von Ralf Rangnick (!Werbung in eigener Sache!), der nach seinem auskurierten Burnout als Sportdirektor des FC Red Bull Salzburg fungierte. Er schätze Glasner und erkannte sein Potential. Nach der Vertragsauflösung mit Co-Trainer Ricardo Moniz, der mit Salzburg erstmals das Double gewonnen hatte, nahm Glasner neben Roger Schmidt auf der Bank Platz. Er sicherte sich die A-Lizenz, wuchs an der Seite dieser beiden prägenden Figuren.

«Ich musste am Ende eine Arbeit schreiben, welche Art Fussball ich mir vorstelle», erzählte Glasner einst. «Ich habe Roger Schmidt und Ralf Rangnick meine Arbeit gezeigt und unsere Vorstellungen waren zu 90 Prozent deckungsgleich.»

Er war mehr als nur am richtigen Ort angekommen. Wenn er zurückdenkt, redet er viel von Prägung. Von Dankbarkeit. Ralf Rangnick hat aus ihm das gemacht, was er vielleicht schon immer sein sollte. Schon vor Dingen wie Kopfbällen gegen Rapid oder Subduralhämatomen. Mit dem erneuten Double, das Salzburg 2014 realisierte, war sein Weg für einmal endgültig besiegelt.

Laute Streitereien und ein Scherbenhaufen

Doch nach diesem Erfolg wollte er zurück. Die SV Ried rief. Aber wohl nicht laut genug. Während er dem Verein als Spieler ganze achtzehn Jahre treu geblieben war, sah das während seiner Karriere als Trainer anders aus. Nach nur einem Jahr lockte der Linzer ASK ihn einmal mehr. Zum ersten Mal in seiner Trainerkarriere stand er vor einem Scherbenhaufen.

In knapp vier Jahren verschlissen die Rieder zehn Trainer. Die Stimmung kippte, der Fanliebling war auf einmal keiner mehr. In österreichische Medien war die Rede von lauten Streitereien zwischen Glasner und den Klubverantwortlichen. Mit der lebenslangen Ehrenkapitänswürde war es auf einmal nicht mehr so weit.

Dennoch stellte sich die Entscheidung letztlich als richtig heraus. 2017 realisierte er als Sportlicher Leiter und Cheftrainer mit dem LASK den Aufstieg in die Bundesliga, in der darauffolgenden Saison sicherte sich das Team gar den zweiten Platz, neun Punkte hinter Salzburg. Noch viel beeindruckender war aber die Punkteausbeute: In insgesamt 155 Pflichtspielen erreichte Glasner einen Punkteschnitt von 1,97 Zählern. Der neue Vereinsrekord war ihm sicher.

Auch wenn er nicht nur Rangnick wegen als Laptoptrainer gilt, setzt er dabei nicht nur auf blanke Zahlen. «Mit den Daten, die man im Fußball heutzutage zur Verfügung hat, kann man die Trainings-Steuerung objektivieren. Früher hat man sehr viel mit Auge gemacht. Allerdings ist uns auch das subjektive Empfinden der Spieler wichtig. Wenn dann subjektives Gefühl und objektive Daten Alarm schlagen, dann schrilllen auch bei uns im Trainer-Team die Alarmglocken», sagt er gegenüber der BILD.

Ein Trainer, der in keine Schublade passt

Viel wichtiger als all der andere Zirkus sind ihm Respekt und Vertrauen. Die Nähe zu den Spielern. In diesem Bereich unterscheidet er sich von Ralf Rangnick. Seinem Mentor ist er längst entwachsen. Unterstützung holt er sich dafür schon fast sein halbes Leben lang beim Soziologen und Berater Werner Zöchling. Dieser soll ihm bei seinem Auftreten und der Teamentwicklung helfen. Überhaupt wirkt Glasner nicht wie der typische Trainer. Noch weniger wie ein Rangnick-Schüler. Eine Schublade, in die man ihn stecken könnte, müsste erst einmal erfunden werden.

Dafür existieren unzählige Geschichten über ihn. Zum Beispiel die über die ausgeschlagenen 50.000 Euro. Als Rieder Kapitän wurden ihm diese einst im Zuge eines Manipulationsversuchs angeboten. Obwohl er das freundliche Angebot dankend ablehnte, erzählte er diese Anekdote erst sechs Jahre später bei einem Sponsorentermin. Ob dieser etwas damit zu tun hatte, er die Verjährung abwarten wollte oder dies einfach typisch Glasner ist, sei dahingestellt.

Eher ernst war dafür eine Aktion aus dem Jahre 2016. Damals beschimpfte ein Fan des SV Horn zwei seiner Spieler mit rassistischen Beleidigungen. Glasner (einmal mehr ahead of the times) wollte daraufhin einen Rauswurf des Fans erwirken, kam dabei aber selbst unter die Räder und wurde auf die Tribüne geschickt. Trotzdem blieb er bei seiner Meinung: «Bei Rassismus sehe ich Rot.»

«Es war vielleicht lebensrettend, dass ich diese Kopfbälle gemacht habe»

Weniger deutlich ist er, wenn es um das Concussion-Protocol geht. Als Spieler, dem einst ein Kopfball die ganze Karriere kostet, könnte er in diesem Bereich eine Vorreiterrolle einnehmen. Noch will er sich diese aber offenbar nicht aufbürden.

«Bei diesem Thema müssen die Mediziner entscheiden. Ich masse mir als Trainer nicht an, grosse Ratschläge zu geben. Natürlich war ich betroffen, aber ich sehe es im Nachhinein sogar positiv. Es war für mich vielleicht lebensrettend, dass ich diese Kopfbälle gemacht habe», sagt er im BILD-Interview.

Überhaupt ist Glasner zurzeit noch auf der Suche nach sich selbst. Egal ob Umstellung auf die Viererkette, Rotation oder Kritik-Keule. Seit er im Juni 2019 Bruno Labbadia beerbte, herrscht noch Luft nach oben. Besonders im Offensivbereich, dem Steckenpferd von Glasner, herrscht zurzeit noch eine Flaute. Der schnelle Weg zum Tor, frühe Störungsversuche und blitzschnelles Nachsetzen nach Ballverlusten gehören zu den Dingen, die er auf dem Feld sehen will. Nicht immer hat sich Wolfsburg aber anständig präsentiert.

Glasner hat noch einen weiten Weg vor sich. Ein Glück, war er nie einer, der nur den vorgegeben Pfaden folgte. «Ich bin generell jemand, der die Dinge auf sich zukommen lässt. Ich plane nicht ganz weit im Voraus», sagte er einst. Besser könnte man seinen bisherigen Werdegang wohl nicht beschreiben.

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