Krise? Welche Krise?

In der Schweiz brennt Constantins Festung, in Deutschland schwirrt Magath auf den verschiedensten Kanälen hin und her und verwirrt die Massen. Es geht um Völkerball und die Liebe zum Fussball und am Schluss dreht sich doch wieder alles um Mourinho.

Brennpunkt Super League

Eigentlich stand das Thema für diesen Blogeintrag schnell fest. Kaum wurde die skandalträchtige Partie Sion-GC abgebrochen, schwirrte in meinem Kopf folgende Frage herum: Steckt die Super League in einer Krise?
Niemand kann abstreiten, dass sich die Fans in letzter Zeit mehr als nur auffällig benommen haben. Nach dem Spiel FCB-Sion erhielt der Schiedsrichter Alain Bieri Morddrohungen. Sein Entscheid, dem FC Basel einen Elfmeter zuzusprechen – es war ein Penaltypfiff mit Nachspiel für ihn. Eine Woche später rannten in einem weiteren Cupspiel mehrere FCL-Fans auf den Platz, um als Protestaktion gegen die von der UEFA diktierten Anspielzeiten ihr Tor zu verbarrikadieren. Nur wenige Wochen später sollten GC-Fans das halbe Tourbillon abfackeln, diesmal richtete sich der Protest allerdings gegen ihren eigenen Verein. Die Stadien als rechtsfreier Raum? Ein Fussballland in einer nie dagewesenen Notsituation? Nicht ganz.

Einen Tag später, hatte sich meine Meinung nämlich etwas geändert. Inspiriert durch Felix Magath, der im Doppelpass auf die Krisensituation auf Schalke angesprochen wurde und für diese Frage nur ein lapidares „Krise? Welche Krise?“ übrig hatte, wurde der reisserische Eintrag schnell verworfen.  Denn so ganz einfach ist die ganze Sache nämlich nicht. Es gibt nicht nur Blau und Weiss – und auch nicht nur das Rot, der gefrässigen Flammen, die den Gästeblock am Samstag auffrassen.

Für eine Person, die den Fussball nicht nur wegen seines Charakters, sondern vor allem wegen seiner Kurven liebt, ist es nicht immer einfach, solche Situationen nüchtern zu betrachten. Zum Glück habe ich dann doch realisiert, dass ich das an dieser Stelle eigentlich auch gar nicht muss.

Nun also erneut die Frage aller Fragen: Gibt die durchwachsene Leistung dem Fanblock das Recht, einen Spielabbruch zu provozieren? Selbstverständlich nicht. Seine eigenen Spieler – sei es auch nur ein seelenloser Haufen voller Söldner – zu gefährden, ist nicht in Ordnung.

Trotzdem. Schlimmer geht immer. Die GC-Fans haben das Rad nicht neu erfunden. Der Abstiegskampf ist und war nie ein Zuckerschlecken. Wenn im Schweizer Fernsehen davon geredet wird, dass dieses Vergehen eine auch international nie dagewesene Situation ist, dann ist das schlichtweg eine Lüge.

Diese Ultras sind nicht schlechter, als die FC Köln Anhänger, die ihre eigenen Spieler immer mal wieder bedrohen, Lille-Fans, die vor einem Jahr den Platz stürmten oder die HSV-Supporter, die ihr Stadion im Abstiegsspiel in einen Hexenkessel verwandelten.

GC hat schlimme Fans. Aber nicht, weil sie im Abstiegskampf emotional reagieren. Sondern weil viele Fans immer und immer wieder mit dem rechten Milieu flirten. Oder bereits schon Teil dieser Szene sind. Das ist und bleibt das wahre Problem. Genau das dürfen wir niemals aus den Augen verlieren.

Rechtsextremismus und Pyrotechnik sind zwei Paar Schuhe. Pyrotechnik gehört zur Kurve. In die Kurven. Nicht aber auf den Platz – selbstverständlich. Die Kurve soll, ja muss leben. Denn obwohl andere in diesem speziellen Fall diesen Vergleich aufgestellt haben. Ein Stadionbesuch ist nicht das Gleiche wie eine Opern- oder Theatervorstellung. Wer Fussball, ein Sport der Arbeiterklasse mit Theater vergleicht, der hat ihn weder verstanden noch verdient und vielleicht auch nie richtig geliebt.

Ultras sind nicht dafür bekannt, zimperlich zu sein. Manche von ihnen haben wichtige Entwicklungen im Profifussball verpasst. Vergessen, das Empathie manchmal mehr wert, richtig und wichtig ist. Aber Ultras sind schlussendlich genau die Fans, die den Verein auch nie verlassen werden. Ihm in jeder Liga zur Seite stehen werden. Trotz all dem ganzen Brimborium im Abstiegskampf, denn Loyalität hat seinen Preis – und in einer guten Beziehung sollte gestritten werden können. Und genau aus diesem Grund ist Fussball mehr, als nur Theater (wer das noch immer nicht begriffen hat, dem empfehle ich „Fever Pitch“). Genau deswegen dürfen Ultras niemals durch VIP-Logen oder den fünfjährigen Jeremy Pascal verdrängt werden, der sich spätestens nach zehn Minuten sowieso langweilt (ausser Jeremy Pascal ist ein gutes Kind).

Egal wie viele Millionen ihr also in eure Vereine pumpt, wie sehr ihr auch die Ticketpreise in die Höhe treibt und wie charakterlos eure Spieler auch sein mögen. Fussball wird nie ein Sport der Angepassten, nie chic und nie leise sein. Ohne die Ultras lebt keine Kurve und ohne die Kurve kann der Fussball nicht existieren. Das gilt es zu akzeptieren.

Und GC hat das zeitweise sogar am Samstag. Mit dem Gang in Richtung Gästeblock hat sich die Mannschaft den vollsten Respekt verdient. Tedesco vor der dunkelblauen Wand. Das war nichts dagegen. Das war die pure Definition, von „Eier haben“.

Brennpunkt Bundesliga

Eier hatte auch Ibisevic. Ob gewollt oder nicht. Seine Völkerball-Einlage war zwar unsportlich, aber auch legendär. Und so absurd, dass ich das Video zuerst für eine Fälschung hielt (wie die Meldung zu Erdogan und Özils Hochzeit übrigens). Wird so etwas je in der Oper passieren? Kaum. Nur das Ballett der Arbeiterklasse kann so herrlich asozial sein.

Der rote König – es war seine fünfte rote Karte – kam, sah und traf. Bürki wurde für einmal von seinen guten Reflexen alleingelassen. Felix Magath, der sich zwar an diesem Wochenende äusserst verwirrend (oder verwirrt?) gab, hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Die Generation, die auch einen Thomas Doll überstanden hatte, musste schon wahrlich unsportlichere Aktionen erleben.
Vielleicht waren diese damals auch alle genauso verpönt. Vielleicht hat man sie als Zeichen der Zeit auch einfach nur akzeptiert.

Fest steht: Der Fussball, der nicht immer so aalglatt war wie heute, lebt vor allem von der Leidenschaft und seinen Emotionen. Auf und neben dem Platz. Deswegen wird ein Ronaldo mich immer mehr mitreissen, als Messi. Deswegen Mourinho, nie Guardiola.

Nie angepasst, nie leise lautet die Devise. Regeln, Taktik und Modernität sind schön und gut. Besser aber ist: Make love, not VAR. Lebt und liebt den Fussball. Mit oder ohne Pyrotechnik. Aber gebt ihm seine Originale zurück. Und lasst sie tanzen.

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