«Solidarität gibt es nur im Märchen»

Text: Larissa Gassmann, Bild: Philipp Zimmermann, Dominic Kobelt, Badener Tagblatt, 19. Mai 2020

Mit dem Döttinger Winzerfest fällt 2020 das grösste Deutschschweizer Winzerfest aus. Die ortsansässigen fünf Winzer erleiden einmal mehr einen herben Rückschlag – trotz Luxusproblemen.

Über 50’000 Besucher, um die 100 Marktstände, ein grosser Umzug und Wein, der in Strömen fliesst: Für alle Winzer der Region ist kaum ein Anlass derart wichtig, wie das jeweils Anfang Oktober stattfindende Döttinger Winzerfest. Während der Coronakrise aber fallen die nahezu umsatzstärksten drei Tage des Jahres auf einmal weg. Der unsicheren Lage wegen wird es kein rauschendes Fest wie sonst immer geben. Für viele Winzer ist dies eine Hiobsbotschaft.

«Das Winzerfest hat nicht direkt eine existenzielle Bedeutung für uns, aber es hat doch einen sehr grossen Einfluss auf den Absatz unseres Weines», sagt Stefan Bugmann. Seit 2001 bewirtschaftet er mit seiner Frau Marianne das Rebgut Lustgarten. Auch in seinem Rebhaus  können in diesem Sommer keine Feste gefeiert werden. Dazu kommt der Preiskampf, der sich nun verstärkt hat. «Im Handel gibt es mittlerweile Flaschen für drei Franken, da können wir preislich nicht mithalten», so Bugmann.

Auch die Weinbaugenossenschaft Döttingen wird die Folgen der Absage spüren. Rund zehn Winzer sind der Genossenschaft angeschlossen, für drei davon ist der Wein ein wichtiger Teil ihres Einkommens. «Die Absage verändert unsere Jahresplanung. Das Fest macht einen grossen Teil unseres Umsatzes aus», sagt Pasquale Chiapparini, Geschäftsführer der Weinbaugenossenschaft. Zusätzlich biete das Winzerfest eine gute Plattform, um sich präsentieren zu können. Weil diese nun wegfällt, wurde in seinem Betrieb so weit wie möglich Kurzarbeit eingeführt, auch die Abfüllungen werden nun anders gestaffelt.

Es drohen die Folgen des Einkaufstourismus

Für Bugmann wiederum steht fest, dass es für ihn so oder so keine Kurzarbeit geben wird, selbst wenn er noch nicht sagen kann, wie es am Ende des Jahrs in der Kasse aussieht. Trotzdem will er eine überschüssige Produktion möglichst verhindern. Er vermutet, dass die angestrebte Grenzöffnung sich fördernd auf den Einkaufstourismus auswirken wird.«Solidarität gibt es nur im Märchen», sagt er.

Chiapparini hingegen rechnet damit, dass auch nach Corona weiterhin in regionale Produkte investiert wird. «Man spürt einen starken Wechsel im Konsumverhalten, das nehme ich als positiv wahr», sagt er. Auch wenn ihm bewusst ist, dass bei seiner Kundschaft die Nachfrage nach Wein zurzeit nicht an erster Stelle steht, probiert er, nahe an den Kundinnen und Kunden zu bleiben.

Nur einer von vielen Rückschlägen

Weniger von der Absage betroffen zeigt sich Andreas Meier vom Würenlinger Weingut zum Sternen. Zusammen mit Alexandra Knecht nimmt er jeweils am Winzerfest teil. «Man gewöhnt sich schnell an die Situation. Dies ist schon der sechste oder siebte Anlass, an dem ich nicht teilnehmen kann», sagt er. Da er am Winzerfest nur einen kleinen Stand hat, treffe ihn die Verschiebung auf 2021 weniger.

Auch Rolf Knecht muss nicht nur die Absage des Winzerfests verschmerzen. Die Weinwanderung und der Tegerfelder Wysonntig fallen nun ebenfalls ins Wasser. Bereits in vierter Generation wird sein Bauernhof durch ihn und seine Frau Tanja betrieben. Die Bewirtschaftung des Rebberges macht einen wichtigen Teil ihrer Arbeit aus. «Es ist bedauerlich, dass das Winzerfest nicht stattfindet. Auf dem tendenziell sinkenden Markt ist dies ein Rückschlag», sagt Rolf Knecht.

Ebenfalls bereits in vierter Generation wird der Weinhof Nyffenegger im Sänneloch betrieben. Anfang 2018 hat David Nyffenegger den Weinhof seiner Eltern zusammen mit seiner Freundin übernommen. «Das Winzerfest ist für uns als junge Unternehmer ein enorm wichtiger Anlass. Wir sind auf die Kunden angewiesen, da wir nur an Privatpersonen verkaufen», so Nyffenegger. Durch das ausgefallene Winzerfest werden beide den Austausch mit den Kunden und den Rummel vermissen. Trotzdem zeigt er wie alle Winzer Verständnis für die Entscheidung: «Es herrscht eine grosse Enttäuschung. Aber wenn die Massnahmen etwas nützen, ergibt es Sinn.»

Von Trostpflastern und Luxusproblemen

Um die Kundenbeziehung nicht abreissen zu lassen, wurde eine kontaktlose Abholung, eine kostenlose Lieferung im Zurzibiet und ein Postversand ermöglicht. Fest hofft Nyffenegger darauf, dass er im Hebst immerhin die geplanten Degustationen auf seinem Hof durchführen kann.

Die «Döttinger Winzerlüt» mit dem Motto «Winzer-Engel». (Sujet 45)
Die «Döttinger Winzerlüt» mit dem Motto «Winzer-Engel».

Doch viele Winzer schmerzt die Verschiebung des 69. Winzerfests nicht nur finanziell. «Ich habe dort immer wieder ehemalige Schulfreunde und Bekannte getroffen. Es ist ein Fest, das aus dem Dorf fast nicht wegzudenken ist», sagt Knecht. Immer wieder habe er deswegen den grossen Aufwand gerne auf sich genommen. Wie ein Trostpflaster wirken da die guten Verkaufszahlen seiner anderen Hofprodukte.

Weil die letzten zwei Jahre erntereich waren und kaum Frost- oder Hagelschäden vermeldet wurden, hat Meier wiederum gar ein Luxusproblem. «Wir sind von der Natur reichlich beschenkt worden. Die Weinkeller werden langsam doch ziemlich voll», sagt er. So setzt er darauf, dass seine Weine bald wieder uneingeschränkt genossen werden können: «Der Wein ist ein Genussmittel, das man gerne in Gesellschaft konsumiert. Diese Gelegenheiten wünsche ich mir zurück. Der Wein braucht Feste und eine Gesellschaft mit Lust am Genuss.»

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