Text: Larissa Gassmann, Bild: Alex Spichale, Aargauer Zeitung, 6. November 2019
Längst hat der FC Wettingen die glorreichen italienischen Nächte und den bitteren Konkurs hinter sich gelassen. Nun findet der in der Vergangenheit oft gebeutelte Verein mit Trainer Marc Hodel in der 2. Liga inter zurück zum Erfolg.
In Wettingen wurden im Stadion Altenburg unter Flutlicht einst die ganz grossen Märchen geschrieben. Nationalspieler jagten die Bälle Spieltag für Spieltag über den Rasen, tausende Zuschauer tummelten sich auf der Tribüne. Die vielleicht schönste Geschichte ereignete sich aber auswärts im Letzigrund: Als Diego Maradona mit seinem SSC Neapel im Uefa-Cup auf die Wettiger traf, entstand der sagenumwobene Stoff, der den Verein bis heute nicht loslässt.
Noch immer zehrt der seit dem Konkurs abgestürzte Verein von diesen Nächten. Die glorreichen Zeiten finden nun nur noch in der Vitrine des Klubhauses statt. Pokale, Wimpel und Bilder liegen dort fein säuberlich für alle sichtbar aufgereiht. Auch den Mythos Maradona wird Wettingen nicht los. Auf dem Tresen liegt längst vergessen ein etwas verstaubter Flyer, der für den im September angelaufenen Kinofilm über den Fussballgott wirbt.
Einer, der allerdings nur ungern über diesen Mythos spricht, ist Präsident Pierluigi Ghitti. Als Spieler der zweiten Mannschaft hat er die Blütezeit des Vereins hautnahe miterlebt. «Es war eine spannende Zeit, das Einzige, das Wettingen in die Welt herausgetragen hat. Alle reden heute noch von Maradona, obwohl das dreissig Jahre her ist. Die Zeiten kommen aber nicht mehr wieder», sagt er.
Kleine Wünsche, grosse Widrigkeiten
Obwohl Wettingen zeitweise die Tabellenführung in der 2. Liga interregional übernommen hatte, bleiben die Ambitionen klein. Zu schwierig ist die Situation des Nachwuchses, der nach der grossen Bühne lechzt und im Verein keine Perspektive sieht. Zu schwer wiegt der finanzielle Druck.
«Wenn ich frech wäre, würde ich sagen: Wir wollen in die Champions League, gegen Real Madrid spielen. Aber als Dorfverein funktioniert das in der heutigen Zeit nicht mehr. Keiner ist mehr bereit dazu, in Regionales zu investieren. Die 1. Liga ist zu wenig sexy», sagt Ghitti.
Auch wenn an diesem Spieltag als Einlaufmusik die von Tony Britten komponierte Hymne der Champions League gespielt wird – statt auf Neapel zu treffen, muss Wettingen am vergangenen Sonntag mit den Eagles Aarau Vorlieb nehmen. Für Trainer Marc Hodel ist dies indes kein störender Punkt.
Ohne Druck Richtung Zukunft
Hodel, der mit GC zweimal Schweizer Meister wurde, weibelt seit Frühling mit Begeisterung an der Seitenlinie in Wettingen. Als Verteidiger wurde ihm der Teamgedanke früh eingeprägt, den aktuellen Höhenflug schreibt er keineswegs sich selbst zu. «Alle, die hier mithelfen, sind der Schlüssel zum Ganzen. Das geht vom Präsidium über den Restaurantbetreiber bis hin zum Fanklub – so etwas habe ich in dieser Liga noch nie gesehen, das macht Freude.»
Diese ist ihm als Trainer nebst Disziplin und Ehrlichkeit besonders wichtig. In einer Situation, in der Wettingen nichts oder alles den Aufstieg kosten kann, bleibt er nicht nur deswegen besonnen. «Wir sind überhaupt keine Übermannschaft, das zu behaupten wäre utopisch», sagt er.
Auf den Druck angesprochen winkt er lachend ab, war der Aufstieg am Anfang der Saison doch überhaupt kein Thema. «Die 1. Liga ist sicher denkbar und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass dies nicht auch einmal ein Ziel von mir wäre. Aber wenn man so nahe zusammen ist, nützt dir der erste Platz erst am letzten Spieltag etwas.»
Bittere Realität, statt wunderschöne Tore
In einer Liga, in der sich derart viele starke Teams tummeln, wagt es hier in Wettingen keiner zu träumen. Ähnlich präsentiert sich die Partie gegen die Eagles Aarau. Statt Tricksereien und wunderschön herausgearbeiteter Tore erleben die 236 Zuschauer die gar bittere Realität. Bereits nach zwanzig Minuten setzt der Regen ein, mehrmals bringt der aufgeweichte Rasen die Spieler zu Fall. Der tabellarische Unterschied der beiden Teams ist kaum zu erkennen, die Partie geprägt von Fouls und Unsportlichkeiten.
Dreimal zieht der Schiedsrichter die rote Karte – alle gehen auf das Konto der Gastmannschaft. Ähnlicher Anzahl sind die ganz grossen Chancen der Partie. Letztlich trennen sich beide Mannschaften mit einem torlosen Remis.
Auf der positiven Seite bleibt für Wettingen trotzdem: Das mittlerweile drittplatzierte Team hat vor der Winterpause noch zwei Gelegenheiten – eine davon heute auswärts beim NK Pajde – um den Ausrutscher wiedergutzumachen. Um immerhin ein kleines Märchen der Neuzeit zu schreiben. «Falls wir den Winter auf dem ersten Platz abschliessen können, wäre das schön, selbst wenn es am Ende vielleicht keine Rolle spielt», sagt Hodel.