Almog Cohen und der FCK

Als ich 14 Jahre alt war, wollte ich sein wie Almog Cohen. Ich hatte kurze Haare und wann immer ich auf einem Fussballplatz stand, trug ich wie er ein Adidas-Haarband. Das sah absolut bescheuert aus. Aber damals waren mir solche Dinge noch egal.

Umso schöner waren die Tore von Cohen. In seiner gesamten Bundesliga-Karriere schoss er genau zwei davon. Eins gegen den HSV und eins gegen Frankfurt. Die Tormusik von Nürnberg war zu dieser Zeit „Sex on Fire“ von den Kings of Leon. Im Stadion erklang sie nicht allzu oft, aber beim Joggen war der Song immer auf meinem iPod.

Irgendwann einmal also schoss Cohen eines dieser beiden Tore. Es schneite furchtbar stark und die dicken Flocken fielen nur so vom Himmel. Und mittendrin stand Cohen, die Arme ausgebreitet, das schönste Grinsen der Welt im Gesicht. Das Bild hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Wenn ich an die Bundesliga denke, dann denke ich daran.

Dabei war mein Lieblingsverein eigentlich ein anderer.

Mein Herz gehörte dem FCK. Wie das halt so ist, wenn man aus einem 2000-Seelen-Dorf aus der Innerschweiz stammt. Schuld daran ist die Sport Bild. Ganz romantisch. Wenn man seinem Schwarm näherkommen will, liest man die Bravo. Wenn es um die grosse Liebe geht die Sport Bild.

Irgendjemand berichtete darin im Sommer 2010 über den Betzenberg. Über Fritz Walter und die Westkurve. Das alles klang abenteuerlich. So viel besser als Wolfsburg oder Hoffenheim.

2010 war ich auf der Suche nach einem Verein – die WM hatte erstmals mein Interesse am Profifussball geweckt – und vielleicht auch ein bisschen nach dem Sinn des Lebens. Und was konnte schon sinnvoller sein als ein Grottenkick gegen Köln?

Mein Leben war ohne Fussball langweilig. Ich hatte auf Pathos und auf Helden gewartet und fand all das in Kaiserslautern. Bestimmt half dabei auch dieser 2:0-Sieg gegen Bayern München mit. Und das bittere 0:5 gegen Borussia Dortmund. Sowieso hatte ich schon immer ein Herz für Underdogs. Vielleicht auch, weil ich mich selbst immer für einen hielt.

Mit 14 trug ich wie gesagt diese schreckliche Frisur. Ich stand mitten in der Teenagerzeit mit all ihren Problem und der Verein war so etwas wie mein Rettungsanker. Bereits am Sonntagabend dachte ich schon wieder an den nächsten Samstag.

Alles war ein bisschen schlimm. Aber ich hatte nun den FCK.

Und da ich mich schuldig fühlte, weil ich mich erst nach seinem Aufstieg in den Verein verliebt hatte, machte ich all das mit meiner unglaublichen Besessenheit wieder wett

Ich sammelte jeden Schnipsel über den Verein. Noch heute liegen in meinem Kinderzimmer alle Ausgaben der Sport Bild. Ich kannte jeden Spieler der Bundesliga. Und wenn ich jeden sage, dann meine ich das so. Schliesslich kannte ich ja auch Almog Cohen. Und irgendwo nach „Sex on Fire“ findet sich in meinem iPod auch die Sportstudio-Folge mit Amedick und Lakić.

Fussballer waren meine einzigen Helden. In meinem Tagebuch schwärmte ich seitenlang über das Lauterer Sturmduo und über meine Lieblinge Tiffert und Nemec. Der FCK und seine Spieler haben mir gezeigt, dass man alles erreichen kann. Ich stellte sie alle auf ein Podest. Bis sie schliesslich von selbst wieder von dort herunterfielen.

Aber ich kam damit klar. Ich hatte ja noch immer den FCK.

Weil mein Vater zu geizig für Sky war, sah ich mir die Spiele damals auf russischen Streamingportalen an. Manchmal war der Bildschirm dann voller Anzeigen für Sportwetten. Manchmal fiel mitten in der Übertragung der Ton aus. Und manchmal sah ich die Spieler nur ganz verwackelt. Manchmal vermisse ich das heute noch. Es war so schön unperfekt. Und überhaupt: Nicht jeden Fehlpass will man in Ultra HD sehen.

Dass ich Fussball so plötzlich mochte, nachdem mich mein Vater zehn Jahre lang erfolglos auf jeden Platz der Innerschweiz geschleppt hatte, kam nicht überall gut an. Als ich in der Schule einen Vortrag über Robert Enke hielt, sagte ein Mitschüler zu seinem Kollegen, dass ich doch überhaupt keine Ahnung von Fussball habe. Dabei kannte ich doch Almog Cohen.

Meine Kolleginnen konnten sich für Fussball nicht begeistern. Und die Jungs waren alle bloss FCL-Fans. Irgendwann fühlte ich mich einsam. Dieses Level an Bundesliga-Versessenheit erreichte keiner. Und als der FCK schliesslich abstieg, wurde alles nur noch schlimmer. Ich war alleine und sass am PC vor einem verwackelten Stream. Die Sicht war schlecht und ich heulte ein bisschen.

Bis ich den FCK irgendwann ganz vergass und ein anderer Mensch wurde.

2014 trug ich meine Haare wieder lang. Ich ging an Konzerte und Festivals. Ich fing an zu kiffen. Ich lief mit Glitzer im Gesicht durch Zürich. Und ich wollte kein bisschen mehr sein wie Almog Cohen. Meine beiden Ex-Freunde interessierten sich nicht für Fussball und weil ich die Samstage und Sonntage immer bei ihnen verbrachte, verschwanden die russischen Streams aus meinem Leben.

Irgendwann glaubte ich nicht mehr daran, dass man alles erreichen kann. Ich fing an, alles zu hinterfragen. Ich realisierte zum ersten Mal, dass Fussballer auch nur Menschen sind – und viele von ihnen keine besonders guten. Ich vertraute nicht mehr darauf, dass ein Tiffert oder ein Sippel ein Leben besser machen können.

Fussball war auf einmal so furchtbar klein im Vergleich zu all den Dingen, die ich damals erlebte. Ich rannte so schnell es ging durch das Leben. Hätten wir doch öfter innegehalten und auf verwackelte Streams gestarrt.

Heute bereue ich das. Als mein Ex-Freund und ich uns trennten, war der FCK schon auf dem Weg in die Drittklassigkeit.

Aber das war egal. Eigentlich war es das schon von Anfang an. Ich hatte ihn noch immer, den FCK.

Seit der Bundesliga habe ich zwei oder vielleicht auch drei Leben gelebt. Aber noch heute macht es mich unfassbar glücklich, das Wort Kaiserslautern in meiner linken Bildschirmecke zu sehen. Ein bisschen Magie ist geblieben.

Trotzdem habe ich mich ab und an gefragt, ob ich all das nur mache, um mein 14-jähriges Ich glücklich zu machen. Und spätestens nach dem 1:6 gegen Meppen fing ich an darüber nachzudenken, warum ich mir das überhaupt noch antue. Aber wann immer ich an Fussballplätzen vorbeifahre, wann immer sich unsere Spieler in den Armen liegen, schlägt mein Herz ein bisschen schneller.

In den letzten paar Jahren war selten Platz für Jubel. Aber als FCK-Fan gibt es etwas, das Tore und Punkte überstrahlt. Es ist das Urvertrauen, dass immer mehr möglich ist. Dass man nie so wirklich tief fallen kann. Dass der FCK noch immer so viel besser als Wolfsburg oder Hoffenheim ist.

Solang’s in Deutschland Fußball gibt, gibt es auch den FCK.

Gestern hat mir Kaiserslautern wieder gezeigt, dass doch alles möglich ist. Dass zwei Fussballer vielleicht nicht ein ganzes Leben, aber immerhin doch einen Abend besser machen können.

Ich muss nicht mehr Almog Cohen sein. Ich kann Fussball mögen und das Business trotzdem hinterfragen. Ich kann Glitzer und FCK-Trikots tragen, muss nicht mehr jeden Spieler kennen und werden inmitten dieser grossartigen Fansene trotzdem nie wieder einsam sein.

Vielleicht gehe ich bald wieder joggen. Vielleicht höre ich mir dabei Songs von Mark Forster an.

ALLES GUTE ZUM AUFSTIEG, FCK!

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