Text: Larissa Gassmann, Aargauer Zeitung, 12. Oktober 2021
Zu Unrecht erhielt eine Sozialhilfebezügerin 8400 Franken. Dies, weil sie die monatlichen Unterhaltszahlungen nicht bei der Gemeinde angab. Nun musste sie sich vor dem Bezirksgericht Lenzburg dafür verantworten.
Irgendwann, da habe sie den Überblick verloren, sagt Melanie (Name geändert). «Es wurde alles zu viel für mich.» Damit gemeint ist Melanies finanzielle Situation. Diese schien nach der Trennung vom Vater ihrer kleinen Tochter unüberschaubar zu sein. Und zwar so sehr, dass die Mittvierzigerin wegen unrechtmässigen Bezugs von Sozialhilfeleistungen vor dem Lenzburger Bezirksgericht landete.
Durch ihre Wohngemeinde unterstützt wird Melanie seit Ende 2019. Ausserdem erhält sie monatliche Unterhaltszahlungen vom Kindsvater in Höhe von 1400 Franken. Genau diese meldete Melanie pflichtwidrig nicht bei der Gemeinde an, die deshalb von einer schlechteren Finanzsituation ausging. So wurden Melanie während sechs Monaten zu Unrecht 8400 Franken zu viel bezahlt. Dies bestreitet Melanie nicht. Sie habe sich deswegen schon bei der Gemeinde entschuldigt, «es war ja überhaupt nicht absichtlich». Auf die Frage, ob ihr nicht aufgefallen sei, dass plötzlich mehr Geld vorhanden war, antwortet Melanie mit «Ja». Und: «Dann kam ich nicht mehr nach», sagt sie in Richtung von Gerichtspräsidentin Eva Lüscher. Sobald klar gewesen sei, dass etwas nicht stimme, habe sie versucht zu handeln. Zusammen mit ihrem Anwalt nahm sie quasi eine «Selbstanzeige» vor.
Grund für die verzwickte Lage waren dabei ausgerechnet die Unterhaltszahlungen. Diese wurden auf ein Konto eingezahlt, das der Kindsvater während der Beziehung eingerichtet hatte. Sie selbst habe weder die Vollmacht noch einen Auszug erhalten, sagt Melanie. «Dadurch hatte ich es nicht auf dem Schirm.» Dazu kam, dass ihre Miete per Dauerauftrag von eben diesem Konto abgezogen wurde. Ebenfalls in die Zeit fiel ein Schicksalsschlag im engsten Familienkreis. Auch unter der Trennung litt Melanie. «Da ging alles Schlag auf Schlag», wie sie sagt.
«Zwischen den Eltern war so ziemlich alles strittig»
Mit dem Geld bezahlt habe sie Fixkosten und Rechnungen, so Melanie. Da der Unterhalt zwischenzeitlich ausgeblieben war, hätten sich diese angehäuft. Denn wie ihr Anwalt berichtet, suchte Melanie ihn bereits im Herbst 2019 auf, wegen Unstimmigkeiten bezüglich Unterhalt und Besuchsrecht: «Zwischen den Eltern war so ziemlich alles strittig», so der Anwalt. Ihr Umfeld habe ihr geraten, sich Hilfe zu holen, sagt Melanie. Davor habe sie Respekt gehabt, «bis es einfach nicht mehr ging».
Das Familiengericht hat den Streit zwischen den Eltern mittlerweile geklärt. Mutter und Kind leben seit kurzem bei einer Verwandten. Derzeit zahle sie keine Miete, sagt Melanie, die seit Sommer in einem Kleinstpensum in der Gastrobranche arbeitet und 700 bis 900 Franken verdient. An den Kosten beteiligen wolle sie sich aber bald. Ebenfalls fordert die Gemeinde noch rund 6000 Franken. Jetzt sei es wieder möglich, etwas davon zurückzuzahlen, so Melanie. «Ich möchte mich nochmals von Herzen entschuldigen», sagt sie – und hofft auf ein mildes Urteil. So plädierte ihr Anwalt auf eine Busse statt auf die bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Franken. Störend sei dabei der Strafregistereintrag – dieser sei bei der Stellensuche matchentscheidend.
Dass Melanie schuldig gesprochen wird, ist keine Überraschung. Es sei klar, dass sie das Geld bezogen habe, sagt Lüscher – dies habe sie ja von Anfang an zugegeben. Sie bejaht aber, dass es sich um einen leichten Fall handelt. Nachdem sie Melanie erlebt habe, glaube sie, «dass Ihnen dies unterging und alles zu viel wurde». Zu bezahlen hat Melanie eine Busse von 600 Franken, Verfahrenskosten (830 Franken), Antragsgebühr (800 Franken) sowie ihre Parteikosten.