In wenigen Sekunden passt die ganze Welt

Text: Larissa Gassmann, Bild: Severin Bigler, Badener Tagblatt, 20. Februar 2021

Auf der Onlineplattform TikTok hat der im Zürcher Hagenbuch wohnhafte Steve Merson über 30’000 Follower. Immer wieder dreht er Videos in Baden. Seine Reichweite will er unter anderem nutzen, um auf die Region aufmerksam zu machen.

Wenn Steve Merson vor die Kamera tritt, dann trägt er meistens die für ihn typische hellblaue Jeansjacke und seine roten Turnschuhe. Die «Uniform» gehört genauso zu seinem Markenzeichen wie die schnellen Schnitte und die vielen Effekte in seinen Videos. Denn wenn er sich an die Internetgemeinde wendet, dann bleiben ihm stets nur 60 Sekunden Zeit. Mehr bietet die Onlineplattform TikTok ihren Nutzerinnen und Nutzern nicht. In der kurzen Zeit muss alles passen und sitzen.

Kaum ein Jahr ist es her, als das Leben von Merson noch in geregelten Bahnen verlief. Seit April aber hat er auf TikTok 30’000 Follower und über eine Million Likes gesammelt. Die ersten Comedyvideos und Strassenumfragen hat der 28-jährige Zürcher aus Langeweile während des Lockdowns gedreht. Merson heisst eigentlich Stefano Lenherr, sein Künstlername ist eine Mischung aus den Nachnamen von Freddie Mercury und Michael Jackson. «Steve ist der Künstler, der offen ist und unterhalten kann. Stefano ist einfach nur ein ganz normaler Mensch», sagt er. Aber gewöhnlich, das möchte der gelernte Kaufmann und Informatiker kaum sein. «Be unique» lautet sein Motto. Merson will die Menschen ablenken und bespassen. «Dafür bin ich geboren», sagt er.

Es gibt kaum ein Thema, dem er sich nicht annimmt

Wenn Merson redet, dann redet er schnell. Ohne Punkt und Komma. Als Gegenüber hat man irgendwann das Gefühl, selbst Luft holen zu müssen. Ähnlich geht es in seinen Videos zu und her. In die wenigen Sekunden muss die ganze Welt passen. Und die ist gross bei Steve Merson. Egal ob Kampf gegen Mobbing oder die Suche nach dem besten Döner: Es gibt kaum ein Thema, dem er sich nicht annimmt. Keinen, dem er nicht hilft. Er sei eben der «Good Boy» der Szene, sagt Merson. «Man muss nicht Alkohol saufen, um erfolgreich zu sein.»

Hemmungen, wildfremde Jugendliche für sein Format «Szeneisch» auf der Strasse anzusprechen, hat Merson keine. Schon früh durfte er als Entertainer Bühnenerfahrung sammeln, so beispielsweise 2012 bei der Badenfahrt. Auch der Kundenkontakt, den er einst als Verkäufer gesammelt hat, war ihm eine grosse Hilfe. Und doch: «Das erste Interview hat mich Überwindung gekostet. Mittlerweile ist es mir egal.»

Seine Videos dreht Merson nicht nur im Kanton Zürich, sondern gerne auch in Baden. Damit möchte er die Stadt bekannter machen und gleichzeitig andere dazu motivieren, hier Videos zu drehen. Weil er in Schlieren und Urdorf aufgewachsen ist, kennt er noch heute viele Menschen aus der Region. Punkten könne Baden mit seiner Multikulturalität, es sei ein bisschen wie Zürich, nur eben in klein. Und: «Die Menschen sind sehr offen und für jeden Spass zu haben.»

«Schweizer sehen ungern extrovertierte Influencer»

Trotzdem möchte Merson nicht nur unterhalten. Vor allem für die von der Pandemie gebeutelte Gastroszene hat er ein offenes Ohr. Es sei eine schwierige Zeit, man könne sie aber gemeinsam überstehen, sagt er. So drehte er beispielsweise einen Beitrag über einen Dönerladen aus Frauenfeld, um diesem unter die Arme zu greifen. «Dafür biete ich meine Reichweite gerne an», sagt Merson.

Auch er bekommt die Folgen der Pandemie zu spüren, wenn auch auf eine andere Art. In letzter Zeit wurde es schwieriger, Menschen spontan zum Mitmachen vor der Kamera zu bewegen. Deswegen ruft er meistens schon vorher auf Social Media zu Treffen auf. Für die 60 Sekunden Spass muss alles gut geplant sein. Von der korrekt sitzenden Maske bis zum zusätzlichen Einsatz eines Kameramanns.

Der Druck steigt, je bekannter Merson wird. Es entwickeln sich regelrechte Kämpfe mit anderen TikTok-Stars. Auch auf den Pausenplätzen der Schule gibt es klare Fan-Lager. Es in der Schweiz als Influencer an die Spitze zu schaffen, sei wahnsinnig schwierig. «Der Markt ist gesättigt. Gleichzeitig sehen die Schweizer ungern extrovertierte Influencer», sagt Merson.

Bei «The Voice of Switzerland» sang er «Schwan» von Gölä

Etwa sechs Stunden täglich verbringt er am Handy. Dreht, schneidet und teilt Beiträge. Um abzuschalten, verbringt er Zeit draussen mit seiner Verlobten. Geht spazieren, in ein Café oder ins Kino. Die plötzliche Bekanntheit war seinem Umfeld anfänglich nicht ganz geheuer. Merson erzählt von einem Nachmittag im Freibad, an dem seine Familie plötzlich von Jugendlichen belagert wurde.

«Irgendwann wurde es normal, dass Menschen sich mit mir fotografieren wollten», sagt er.

Zuletzt war Merson im Marketing- und IT-Bereich tätig. Seinen alten Job hat er längst an den Nagel gehängt. Und irgendwann, das ist schon jetzt klar, wird ihm wohl selbst die Welt von TikTok zu klein sein. 60 Sekunden können schliesslich arg kurz sein. Eigentlich ist die Musik seine grosse Leidenschaft. Bereits im vergangenen Jahr trat er mit «Schwan» von Gölä bei «The Voice of Switzerland» an, ein eigener Song soll folgen. Gleichzeitig will er sich mit seinem Label Blackbirds in der Gaming- und Lifestyle-Szene einen Namen machen. In Schulen auftreten und sich bei den Politikern für die Wünsche der Jugendlichen einsetzen. Ein bisschen alles eben. Ohne Punkt und Komma.

Steve Merson präsentiert eines seiner Videos.

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