Hundebiss mit UNGEREIMTHEITEN

Text: Larissa Gassmann, Limmattaler Zeitung, 26. November 2021

Weil eine Hündin einen kleinen Jungen gebissen haben soll, treffen Halterin und Mutter vor dem Bezirksgericht Dietikon aufeinander. Dort schweigt die Hundebesitzerin – umso mehr spricht dafür ihr Anwalt.

«Wir sind normale Menschen, wir haben als Eltern gehandelt», sagt Claudia. Und handeln, das musste sie, nachdem ihr Sohn Patrick von einer Hündin gebissen wurde. Vor dem Bezirksgericht Dietikon aber wirft die Reaktion der Eltern Fragen auf – zumindest, wenn man der Gegenseite um Hundehalterin Gianna (alle Namen geändert) glauben soll.

Im Frühling des vergangenen Jahres war es, als die knapp 60-jährige Frau ihre Hündin auf dem Chüestelliweg von der Leine liess, um sie auf der Wiese spielen zu lassen. Dabei aber rannte das junge Tier laut Anklageschrift auf Patrick, dessen Vater Vincenzo und den kleineren Hund der Familie zu. Während sich Patrick hinter seinem Vater versteckte, nahm dieser den Familienhund auf den Arm und machte mit dem Fuss eine abwehrende Geste – daraufhin soll Bella zugebissen haben.

Ob sich alles so abgespielt hat, dazu gibt die zu spät vor Gericht eingetroffene Gianna diese Woche keine Antwort. Ihr werden fahrlässige Körperverletzung und ein Verstoss gegen das kantonale Hundegesetz vorgeworfen. Dieses sieht vor, dass Hunde so zu beaufsichtigen sind, dass sie Mensch und Tier nicht gefährden. Auf die Frage, ob sie wisse, was in der Anklageschrift steht, schüttelt sie nur den Kopf – erst später wird klar, dass Gianna mit ihrem Anwalt abgemacht hat, die Aussage zu verweigern.

«Ärztliches Gekritzel» und längere Fingernägel

Immer wieder zuckt sie bloss mit den Schultern, wenn sie angesprochen wird. Leise redet sie, wenn sie sich dann doch äussert. Einzig über ihren Hund gibt Gianna Auskunft – zum Einsatz kommt dabei ein Übersetzer. Bella sei «lieb», sagt sie etwa. Deutlich mehr spricht ihr Anwalt. Sein Plädoyer beginnt er damit, dass «der Hund bekanntlich der beste Freund des Menschen» sei. Dass Bella tatsächlich zugebissen hat, das habe keiner gesehen. Auch Vincenzo nicht.

Den Beschrieb von Patricks Kinderarzt nennt der Anwalt «ärztliches Gekritzel». Eine Anamnese sei nicht ersichtlich, Zahnabdrücke gebe es keine. Blut, das sei laut Aussage des Vaters keines geflossen. Sowieso sei dessen Wahrnehmung von seiner «intensiven Emotionalität» beeinflusst worden. So habe nach dem Vorfall nicht etwa das Kind, sondern der Vater geweint. Vincenzo habe denn auch «verzerrte Angaben» gemacht. So zur Distanz, aus welcher Bella angerannt kam. Zum Schluss reitet er auf Details herum, etwa der veränderten Länge der Fingernägel, die am Rande der Beweisfotos zu sehen sind.

Als er davon anfängt, schlägt Claudia ihre Hand an die Stirn. Dass sie hier sitzt, das sei nicht vorgesehen gewesen. «Eigentlich wollten wir nur eine Entschuldigung», sagt sie. Dass Gianna nachfragt, wie es Patrick geht. Wie Claudia als Vertreterin des Privatklägers sagt, habe man nicht damit gerechnet, alles genau belegen zu müssen. Sie habe keine Rechtskenntnisse, es gehe ihr eh nicht um Geld. Denn: «Was sich im Herz und im Kopf eines 6-Jährigen abspielt, kann sie mir nicht abnehmen.» Heute noch leide ihr Sohn psychisch.

Ein Motiv für falsche Anschuldigen?

Probleme habe es mit Bella nicht gegeben, «nie ist sie auf andere losgegangen», verteidigt der Anwalt derweil Gianna. Wenn, dann sei ein Zuschnappen auf das Fehlverhalten von Vincenzo zurückzuführen. Demnach verlangt der Anwalt einen Freispruch. Diesen bekommt er durch Gerichtspräsidentenkandidat Benedikt Hoffmann – jedenfalls, was die fahrlässige Körperverletzung betrifft. Da von einer oberflächennahen Quetschung und Schürfung die Rede war, sei die Intensität der Körperverletzung nicht erreicht.

Schuldig gesprochen wird Gianna für die Übertretung des Hundegesetzes. Es fällt dabei eine Busse von 1000 Franken an. So seien die Aussagen von Vincenzo «im Kern konstant geblieben». Es gebe zwar gewisse Widersprüche, die Gesamtheit werde dadurch aber nicht in Frage gestellt. Für falsche Anschuldigungen gebe es kein Motiv. «Unbestrittenermassen ist etwas passiert», so Hoffmann.

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