Wettlauf gegen die Zeit

Text: Larissa Gassmann, Aargauer Zeitung, 23. Dezember 2019

Auf ihrem schweren Weg in Richtung Tokio 2020 feiert die Karatekämpferin Elena Quirici mehrere Erfolge. Die Weltranglistenerste ist auf Kurs – doch noch herrscht Ungewissheit. Kraft schöpft sie während ihrer Reise aus ihrem neuen Alltag als Profisportlerin.

Knapp 30 Wochen, 214 Tage und insgesamt 5136 Stunden. So lange dauert es, bis die Olympischen Sommerspiele in Tokio starten. Eigentlich eine Zeitspanne, die einem unglaublich lange vorkommt. Eine, in der noch so unglaublich vieles passieren kann.

Und die trotzdem auch wahnsinnig kurz erscheint, wenn man Elena Quirici heisst. Seitdem bekanntgegeben wurde, dass Karate für den 2020 stattfindenden Event als olympische Disziplin akzeptiert wurde, arbeitet die junge Athletin auf dieses Ziel hin.

Weil Paris 2024 Karate bereits wieder aus der Liste der begünstigten Sportarten gestrichen hat, bleibt ihr nur eine Chance. Dementsprechend gross ist der Druck. «Es ist noch nichts sicher, daher will ich nicht zu viel daran denken», sagt die 25-Jährige. «Ich werde oft gefragt, wie es denn mittlerweile aussieht. Aber ich rede eigentlich nur ungern darüber.»

Mit mentaler Stärke und Achtsamkeit zum Erfolg

Lieber will sie sich auf all die kommenden Wettkämpfe fokussieren. Fokus und Quirici, das ist eine Wortkombination, die passt. Schon im Kindesalter bestach sie durch ihre mentale Stärke. Dennoch vermutet sie in diesem Bereich ihre grösste Schwäche. «Ich muss daran arbeiten, mir keinen Druck zu machen, frei kämpfen zu können. Im Moment zu leben», sagt die aus Schinznach-Dorf stammende Quirici.

Denn gerade die Gegenwart hält für sie doch so vieles bereit. Nach einer aufreibenden Saison hat sie in ihrer Gewichtskategorie den ersten Platz in der Weltrangliste inne, an den insgesamt zwölf absolvierten Turnieren schaffte sie es neunmal in den Final.

Mehrmals konnte sie sich die Saison vergolden, zeitweise hatte sie auch in der Qualifikation für Tokio die Nase vorne. Zurzeit muss sie mit dem zweiten Platz vorliebnehmen. Dennoch lässt sie sich davon nicht verunsichern. «Wir haben noch so viele Wettkämpfe vor uns, das spielt keine grosse Rolle. Gerade auch, weil wir alle so nahe beieinander sind», sagt Quirici.

Die Zeit ist relativ – und fordernd

30 Wochen, 214 Tage und insgesamt 5136 Stunden. Auf einmal erscheint diese Zeitspanne doch wieder zäh und lang. Zeit ist relativ, sagte einst Albert Einstein. Quirici bekommt dies nun am eigenen Leib zu spüren. Nicht immer konnte ihr Körper dem strengen und fordernden Jahr trotzen.

Kurz vor den wichtigen European Games plagte sie Anfang Juni eine Erkältung. Doch sie rafft sich auf, reist nach Minsk. Gewinnt alle ihre Gruppenkämpfe deutlich, muss sich im Halbfinal nur dank eines ärgerlichen Fehlers geschlagen geben und sichert sich letztlich Bronze. Eine Kraftleistung.

«Unsere Saison ist megalang, wir müssen an so vielen Turnieren abliefern, irgendwann will der Körper nicht mehr so ganz», blickt Quirici zurück. Doch auch nach der Sommerpause durchlebte sie eine schwierige Zeit. Auf einmal liefen die Turniere nicht wie erwartet. Es brauchte seine Zeit, bis Körper und Geist wieder harmonierten.

Endlich voll und ganz auf den Sport fokussiert

Zugute kam ihr dabei der Status als Profisportlerin. Seit März kann sie sich ganz auf ihren Sport fokussieren. «Ich bin es mir noch immer nicht gewohnt, nach dem Training noch Energie zu haben. Die Erholung tut mir megagut und das spiegelt sich natürlich auch in den Resultaten wieder», sagt sie. Gute Ergebnisse lieferte sie trotz des kleinen Durchhängers immer wieder ab.

Auf ihre Konstanz ist sie am meisten stolz; sich auf nichts auszuruhen, ist ihre Devise. Deutlich wird das auch in ihrer Saisonbilanz. «Es geht immer besser», sagt sie als Erstes. «Aber wenn man die Saison als Weltnummer eins abschliessen kann, darf man schon auch ein bisschen zufrieden sein.»

So schwer es ihr fällt, sich mit Bestehendem zufriedenzugeben, so leicht geht es ihr von der Hand, wenn es darum geht, ein Saisonhighlight auszumachen. Der Gewinn des legendären Paris Open hat sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. «Man sagt sich, wer dieses Turnier gewinnt, der gehört zu den Top-Athleten», sagt sie stolz. Dass sie nach all dieser Zeit und den vielen Erfolgen keine Vergleiche scheuen muss, dürfte langsam, aber sicher, auch ihr klar sein. Wer braucht da schon Zahlen und Rechenspielereien?

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