Bei Nackt-Fotoshootings gefilmt – Fotografen verurteilt

Text: Larissa Gassmann, Bild: Walter Schwager, Badener Tagblatt, 11. März 2020

Ein Hobby-Fotograf schoss Aktfotos im Studio eines Bekannten. Letzterer liess bei den Fotoshootings die Kamera mitlaufen. Nun trafen die zwei Fotografieliebhaber vor dem Badener Bezirksgericht aufeinander – und werden schuldig gesprochen.

«Er war der Canon-Fan, ich mochte Nikon, so haben wir uns kennengelernt», sagt Hans (alle Namen geändert) über seine erste Begegnung mit Lukas. Doch was wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft klingt, entwickelt sich bald zum Drama. Schuld daran ist – wie könnte es auch anders sein – eine Kamera.

Diese befand sich im Fotostudio von Lukas. Und sie filmte fleissig mit, als Hans Aktfotos junger Frauen schoss. Von März bis Mai 2013 traf sich der nun pensionierte Hobbyfotograf im Fotostudio von Lukas mit den Frauen. Ihm vollkommen vertrauend, zogen sie scheinbar nur vor einer Kameralinse blank. Dass bei den Shootings auch ein zweites Gerät in Betrieb war, davon wollte keiner etwas mitbekommen haben. Erst einem befreundeten Fotografen, der beim letzten Shooting dabei war, fiel auf, dass über ihnen ein allwissender Spion sitzt. Noch am gleichen Tag erstattete der heute 71-jährige Hans Anzeige. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Geschichte nur einen Beteiligten auf die Anklagebank des Bezirksgericht Baden geführt. Doch Hans wollte aus der Sache Profit schlagen. Drei Tage nach dem Shooting traf er sich mit Lukas in einem Restaurant. Die Absicht? Ihn zur Zahlung von 12’000 Franken zu bewegen. Die Summe sollte dafür sorgen, dass er und die Models ihre Strafanzeigen zurückziehen würden.

«Ich befand mich in einer schlechten Situation, konnte das Studio nicht mehr betreiben», sagt Lukas rückblickend. Der heute 34-Jährige stand nach der Anzeige vor dem Ruin: Ihm wurde das Studio geräumt, Festplatten und Speicherplatten sichergestellt. Weil er vor dem Treffen mit Hans ein ungutes Gefühl hatte, nahm er das Gespräch auf – und erstattete seinerseits Anzeige wegen Erpressung. So kommt es, dass Gabriella Fehr als Gerichtspräsidentin gleich zwei Fälle in einem Aufwisch behandeln muss.

Fehlende Erinnerungen, tief sitzender Schmerz

Als Erstes steht Lukas im Vordergrund, dem die mehrfache Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte vorgeworfen wird. Befragt werden die fotografierten Frauen. An eine Kamera erinnern können sie sich alle nicht. Dafür an den noch immer tief sitzenden Schmerz. «Ich habe mich sonst schon nicht wohl in meinem Körper gefühlt. Zu wissen, dass diese Bilder sonst wo landen, damit bin ich überhaupt nicht klargekommen», sagt die 32-jährige Kathrin. Wie die zwei anderen anwesenden Frauen erstellte auch sie Anzeige. Seine Models hat Hans in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über die Kameraentdeckung informiert. «Das Schlimmste als Fotograf ist, wenn man als unseriös angesehen wird», sagt er. Es sei ihm alles überhaupt nicht recht gewesen, die Frauen hätten ihm Leid getan. Dass die Bilder verkauft oder hochgeladen wurden, daran glaubt er nicht, dafür, dass Lukas wohl gerne die «Fliege an der Wand» gewesen sei.

Weil die Frau von Lukas zum damaligen Zeitpunkt mit ihm zusammenarbeitete, will er Ende Mai 2013 trotzdem eine aussergerichtliche Lösung finden. Er erstellt eine Hochrechnung, bestehend aus seinen eigenen Kosten und den Entschädigungen für die Models. Er verabredet sich mit Lukas, bittet ihn darum, das Gespräch nicht aufzunehmen, was diesen erst recht Blut lecken lässt. Beim Gespräch wird schnell deutlich, auf was Hans hinaus will. «Er hat klargestellt, dass er die Frauen in der Hand hat, mit einem Geldbetrag zurückpfeifen kann», sagt die Anwältin von Lukas. Dass er die Models derart beeinflussen könne, davon will dieser wiederum nichts wissen. «Ich gebe nur bei Shootings Anweisungen, sonst sind das eigenständige Frauen.»

Schutz vor Einbrecher oder Interesse an Voyeurismus?

Mehrmals fordert Hans die Beteiligten vor Gericht auf, wegen seines Hörgerätes Dinge zu wiederholen. Auch die Aufnahme des Gesprächs hält er für qualitativ schlecht. Während sich die Models demonstrativ hinter ihm platziert haben und Hans die Verhandlung zwischenzeitlich fast zu geniessen scheint, ist Lukas ruhig. Nur manchmal wagt er einen Blick in Richtung der Models: Dann, als eines davon nachfragt, ob es technisch möglich gewesen wäre, das ganze Shooting live zu beobachten.

Er bejaht. Und erklärt, dass dies nie seine Absicht gewesen sei. Die Kamera diene dem Schutz vor Einbrechern. «Hätte ich wirkliches Interesse an Voyeurismus gehabt, hätte ich sie nicht derart offensichtlich platziert», sagt Lukas.

Er verweist auf das blinkende Licht, die Dunkelheit beim Betreten des Studios. Auf die schlechte Qualität der Bilder, welche die Kamera ihm bei Bewegung als E-Mail-Warnung sendete.

Und darauf, dass er Hans sowieso auf die Kamera hingewiesen habe. Daran mag sich dieser aber nicht erinnern. Überhaupt will keiner Einsicht zeigen, beide Anwälte plädieren nach vier Stunden dauernden Verhandlung auf Freispruch. Der Anwalt von Hans, weil dieser Lukas kein Übel, sondern eine Beseitigung dessen in Aussicht gestellt hat, sein Protegé handfeste Gründe für die Forderung hatte. Lukas und seine Anwältin wiederum ärgern sich darüber, dass Hans sich als Eintreiber von Zivilforderungen aufspielte. Das Recht der Models am eigenen Bild sei nicht verletzt worden, Lukas habe die Aufnahmen nie verwendet. Am Ende eines langen Tages werden letztlich beide schuldig gesprochen. Von einer Bestrafung wird in Anwendung von Artikel 52 des Schweizerischen Strafgesetzbuches abgesehen. Danach wird von Bestrafung abgesehen, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind. Zudem sei seit dem Vergehen viel Zeit verstrichen. Dass zwischen den beiden mittlerweile ein tiefer Graben liegt, ist wohl Strafe genug.

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