Eine gigantische Lebensschule

Text: Larissa Gassmann, Bild: Severin Bigler, Badener Tagblatt, 11. Januar 2021

André Burkhard hört als Kommandant der Regionalen Feuerwehr Leibstadt auf. Nicht wenige Einsätze endeten tragisch, andere waren kurios. Gleich zu Beginn seiner Ära war er beim grossen Mühlebrand gefordert.

Die Welt der Feuerwehr und die Faszination dafür, das könne er eigentlich kaum in einer derart kurzen Zeit erklären, sagt André Burkhard. Nicht ganz unvorbereitet versucht er es trotzdem – um kein Detail seiner Karriere zu vergessen, hat er sich Notizen gemacht. Ganz der Kommandant, der er so lange war.

«Die Feuerwehr hat etwas sehr Ehrliches», sagt der 48-Jährige gleich zu Beginn. Wer im Einsatz stehe, könne nichts verstecken und müsse sich klar an die Fakten halten. Bei der Regionalen Feuerwehr Leibstadt tat er dies 18 Jahre lang, kümmerte sich dort um die Finanzen, das Personal und das Marketing gleichzeitig. «Es ist eine gigantische Lebensschule», sagt er.

Bereits seit drei Jahren ist klar, dass Diego Galindo sein Amt aus alterstechnischen Gründen übernehmen wird. Nach und nach wurde er von Burkhard eingearbeitet. Alles schön geordnet. Das war ihm wichtig. Die endgültige Übergabe wurde Ende Jahr durchgeführt. «Wenn man geht, verliert man etwas. Es ist wie ein Kind», sagt Burkhard. «Aber es wird weitergehen.» Er sagt es ohne Abschiedsschmerz.

Einsätze können schnell persönlich werden

Erlebt hat er als Kommandant ganz andere Situationen. Mit dem Brand bei der Knecht Mühle AG in Leibstadt im Jahr 2001 durchlief er bei seinem Einstieg gleich seinen aufwendigsten Einsatz. Eine Woche lang brannt das mit Sonnenblumenkernen gefüllte Betonsilo.

60 Einsatzkräfte aus der Region und dem benachbarten Deutschland standen im Einsatz. Erst Tage später erkannte Burkhard beim Gang durch das zerstörte Gebäude das Ausmass der Katastrophe. Die Grösse der Verantwortung, die er von da an für seine jungen Einsatzleute trug. «Es hat eine Weile gedauert, bis ich das verarbeitet habe», sagt er.

Nur sechs Jahre später kam es in Schwaderloch zu einem Verkehrsunfall mit einem Postauto und einem Personenwagen. Der Fahrzeuglenker, ein im Dorf bekannter Mann, verstarb noch am Unfallort. «Mir war nicht bewusst, wie schnell ein Unfall persönlich werden kann und wie stark es eigene Leute betreffen kann», sagt er. Als Einsatzleiter gehe es darum, zu entschieden, wer an vorderster Front zum Einsatz kommt und wer nicht, um so Bekannte des Opfers zu schützen. «Solange man Arbeit hat, schaltet man ab. Erst wenn die Wartezeit einsetzt und die Polizei ihre Arbeit macht, wird es gefährlich. Dann hat man auf einmal Zeit, über das Ganze nachzudenken», so Burkhard.

Besonders nahe ist ihm ein Einsatz mit dem Rettungsdienst gegangen. Als die Feuerwehr ankam, herrschte nach dem medizinischen Notfall eine hektische, aber durchaus gute Stimmung. «Bis zuletzt war uns nicht bewusst, wie kritisch die Situation war», sagt er. So sprach er der anwesenden Lebenspartnerin in seiner Naivität Mut zu – der Mann verstarb leider doch. Es sei wichtig, Menschen zu haben, mit denen man reden kann. «Manchmal braucht es überhaupt kein Brimborium. Oft reicht das berühmte gemeinsame Cola oder Bier nach dem Einsatz», sagt er. Längerer Einsätze schweissten das Team zusammen: «Irgendwann kannten wir unsere jeweiligen Handyklingeltöne auswendig.»

Einmal wollte er eine Katze mit Sauerstoff versorgen

Zwischen all den bewegenden Momenten durfte auch Kurioses nicht fehlen. So wurde er gerufen, nachdem Eheleute sich auf dem Balkon ausgeschlossen hatten, während sich ihr Baby noch in der Wohnung befand. Durch das Einschlagen des Badezimmerfensters konnte das Kind schliesslich gerettet werde. Burkhard nahm es mit Humor: «So konnten wir sozusagen legal einbrechen.»

Lachen kann er heute auch darüber, dass die Feuerwehr bei einem Brand in die falsche Wohnung eindrang. Und: «Einmal durfte ich in Koblenz eine Katze, die zu viel Rauch erwischt hat, mit Sauerstoff versorgen. Das war ein hoffnungsloses Unterfangen.»

«Vielleicht bin ich da auch extrem»

Mit jeder weiteren Erfahrung und jedem neuen Lebensjahr verschob sich sein Fokus mehr. Standen früher die Ereignisse und das dadurch ausgeschüttete Adrenalin im Vordergrund, so setzten irgendwann Mechanismen ein. Der Sicherheitsgedanke überwog. «Vielleicht bin ich da auch extrem», sagt Burkhard. Er erzählt vom Dacheinsturz einer Industriehalle.

Die gebrochenen Schrauben spickten damals wie Geschosse in der Halle herum. Obwohl gefordert wurde, dass seine Truppe sich so schnell wie möglich in die Halle begibt, entschied er sich dagegen. «Es braucht nicht eine grosse ‹Schnorre›. Aber man muss sich schon durchsetzen», sagt er. Auch seine Einsatzleute selbst musste er oft zügeln. Kontrolle. Das ist ihm wichtig. «Feuerwehrmänner arbeiten nur in den Filmen heroisch», sagt er.

Er würde sich immer wieder für die Feuerwehr entscheiden

Seine Arbeit hat sich im Laufe der Jahre stark gewandelt. Waren früher Brände das Hauptthema, so sind es nun kleinere Aufträge wie Aufräumarbeiten nach einem Sturm. Was wie ein Vorteil klingt, ist keiner: Immer mehr fehlt dadurch die Erfahrung für längere Einsätze. Das mit dem Vorbereiten? Ist auf einmal nicht mehr so leicht. Immerhin gibt es kaum Nachwuchsprobleme. So umfasst die Feuerwehr Leibstadt 70 Personen. Schon 18 und 19-Jährige werden angefragt und integriert. «Nebst den persönlichen Erfahrungen nehme ich das als positive Erinnerung mit», so Burkhard.

Nach all den Jahren überlässt er das Feld nun seinem Nachfolger Galindo. «Ich weiss, er denkt ähnlich. Die Werte gehen weiter», sagt er. Das erleichtert das Loslassen. Seinen Kollegen bleibt er verbunden, bald tritt er dem Ehemaligenverein bei. So ganz kann er nicht aufhören. Nicht einmal im Geschäftsleben. Als Projektleiter Sicherheitssysteme der Zwilag Zwischenlager Würenlingen AG ist der Brandschutz weiterhin ein Thema.

Gleichzeitig bleibt er Mitglied der Betriebsfeuerwehr. «Es ist wie ein Gen», sagt er. Die Lebensschule hat abgefärbt. Trotzdem: Aktuell empfindet er den Abschied als Entlastung. Sobald es wieder möglich ist, will er reisen. Für einmal nicht mehr Kommandant sein. Um die 400 Stunden hat er pro Jahr für Hintergrundarbeiten und Einsätze in die Feuerwehr investiert. «Und doch würde ich es wieder tun», sagt er.

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